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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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waren ums Leben gekommen.
Tragen wurden gebracht und mit Verletzten wieder mitgenommen. Innes leistete Erste Hilfe, operierte, verabreichte Morphium. Die Arbeit, die am Morgen begonnen hatte, wurde zum Alptraum. Als es Abend wurde, gab es keine Betäubungsmittel und keine Antiseptika mehr. Zum ersten Mal in seinem Leben mußte Innes einen Patienten ohne Chloroform operieren. Er wußte, daß die junge Frau, wenn er den zerfetzten Arm nicht amputierte, binnen kurzem an ihren Verletzungen sterben würde. Innes gab daher den barbarischsten Befehl seines Lebens, indem er eine Schwester anwies, sich quer über die Knie der jungen Frau zu legen und gleichzeitig den gesunden Arm festzuhalten. Die junge Frau schrie unter dem Messer. Zum Glück wurde sie ohnmächtig, wie erwartet, so daß Innes die Operation bis zum Ende durchführen und die Wunde dann verätzen konnte.
Die Verletzten wurden nach Behandlungsmöglichkeit eingeteilt, und die Patienten, bei denen eine Behandlung aussichtslos war, wurden auf eisernen Betten an einer Wand aufgereiht. Freiwillige Helferinnen gingen ständig von Bett zu Bett und versuchten zu beruhigen und zu trösten. Sollte Hazel am Leben sein, dachte Innes, so würde sie wohl auf ähnliche Weise helfen.
In einer Pause ging Innes durch die Säle, mußte immer wieder über Pritschen und Leichen hinwegsteigen, um vorwärtszukommen. Er hatte nie so viele Verletzte und Tote gesehen. In seinen schlimmsten Phantasien über den Krieg in Frankreich war es nicht so entsetzlich, so blutig zugegangen.
Immer wieder fragte er nach Dr. Fraser, ohne irgendeine Antwort zu erhalten. Er dachte daran, das Krankenhaus zu verlassen, dorthin zurückzukehren, wo einmal das Haus der Familie Fraser gestanden hatte, und in den Trümmern zu graben. Aber er bezweifelte, daß er den Ort im Dunkeln finden würde. Draußen vor der leeren Fensteröffnung war starker Wind aufgekommen und hatte Schnee gebracht.
Mein Gott, dachte Innes. Ein Schneesturm.
Er nahm Brot, Wasser und getrocknete Erbsen zu sich, eine bizarre Kombination, für die er dankbar war. Im ersten Stockwerk des Krankenhauses waren, wie Innes hörte, die Patienten, die behandelt worden waren und sich erholen sollten. Er ging nach oben und stieß im Treppenhaus auf eine Krankenschwester, die sich in einer Ecke zusammengerollt hatte und schlief. Er weckte sie nicht.
Hinter der Schwingtür im ersten Stock war ein breiter Korridor mit Krankensälen zu beiden Seiten. Innes begann seine Suche im ersten Saal, still und dunkel, auf jedem Nachttisch eine Kerze und ein weißer Krug. Eine Pflegerin, grau im Gesicht, aber unvermindert tüchtig, war die einzige, die den Nachtdienst bei den mindestens fünfzig Patienten versah. Innes war erschrocken über die hohe Zahl von Kindern.
Aus einem entfernteren Saal hörte er eine Frau klagen.
Er suchte weiter, immer noch in der Hoffnung, wenigstens ein Mitglied der Familie Fraser zu finden. An einigen Betten standen auf Krankenblättern am Fußende die Namen der Patienten, an anderen Betten waren die Blätter leer, vielleicht weil die Patienten nicht sprechen konnten oder sich nicht an ihre Namen erinnerten. Innes sah prüfend in fremde Gesichter. Er dachte an die kleine Zehnjährige, die er an der Hand genommen hatte. Sprach sie inzwischen wieder? Wußte sie inzwischen etwas über das Schicksal ihrer Familie?
Das Klagen wurde lauter, als Innes sich dem Ende des Korridors näherte. Die Laute schlugen plötzlich in heftiges Gezänk um; etwas im Ton dieser Stimme veranlaßte Innes, schneller zu gehen, und er rannte beinahe, als er die Tür zum Saal erreichte. In einem Rollstuhl saß eine Frau mit verbundenem Kopf, die verzweifelte Schreie ausstieß und mit beiden Händen in die Luft schlug. Unter dem Verband, der beide Augen bedeckte, erkannte Innes hellbraunes Haar; die Frau trug eine Bluse mit Schulterklappen und Messingknöpfen. Eine Schwester wehrte in hilfloser Verzweiflung eine der Hände der Patientin ab.
»Ich mache hier weiter«, sagte Innes, als er neben der Schwester stehenblieb.
»Die Frau ist völlig übergeschnappt.«
Zu Füßen der Schwester lag eine heruntergefallene Suppenschale. Innes ging in die Knie und blickte der Frau im Rollstuhl ins Gesicht. Er fing ihre Hände ein und führte sie in seinen eigenen zusammen. Er spürte die wilde Panik, als sie versuchte, sich loszureißen.
»Louise«, sagte er. »Ich bin es, Innes.«
Die Frau drehte den Kopf, so daß ihr rechtes Ohr ihm zugewandt war. Louise wußte es noch nicht,

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