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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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wichtigste im Leben war, nicht festgehalten.
    Ja, ich weiß, es gab schwierige Zeiten. Die besonderen Probleme, die Dich gequält haben und die ich nie mit Dir teilen konnte. Aber auch ich habe gelitten. In den langen Monaten, als Du weder angerufen noch geschrieben hast. Als Du damals beim Wein in Boston sagtest, wir müßten Schluß machen.
    An dem Tag, an dem Du mir sagtest, daß Carol wieder schwanger sei. Aber am schlimmsten war für mich der Tag, an dem ich an die Schule kam, um Dich mit der Nachricht von meiner neuen Stellung zu überraschen. Ich würde an meiner alten Schule unterrichten, sagte ich. Wir würden bald Kollegen sein. Dein Gesicht fiel in sich zusammen, und meine ganze schöne Neuigkeit verpuffte. Heute verstehe ich, warum Du so betroffen warst. Natürlich verstehe ich es. Ich verstehe Deinen Wunsch, unsere Beziehung von Deinem »realen« Leben (wie Du es einmal formuliert hast) getrennt zu halten. Aber damals habe ich es nicht verstanden. Ich glaubte, Du würdest Dich genauso freuen wie ich, und als das nicht der Fall war, war ich verletzt und wütend.
    Aber die meiste Zeit schiebe ich die Erinnerung an diesen Tag einfach weg und denke lieber an das Cottage, das wir damals in Bar Harbor gemietet haben, und unsere kleinen Grillfeste auf der Terrasse. Einmal hast Du sogar eine Pizza gemacht. Ich denke an das schäbige kleine Hotel in Portland und wie wir uns auf dem karierten Sofa geliebt haben. Später habe ich vor Glück geweint. Ich denke an unseren Spaziergang in der Stadt an einem Sonntagabend, als die Läden alle geschlossen und die eisernen Rolläden heruntergelassen waren. Es war ein Gefühl, als wären wir beide die einzigen Menschen auf der Welt.
    Ich liebe Dich jetzt seit siebenundzwanzig Jahren. In dieser ganzen Zeit habe ich nie mit einem anderen Mann geschlafen. Ich bin Deine andere Frau, Deine zweite Frau, die, die in ihrer Hütte auf Dich wartet. Deine Besuche sind mir teuer, ich zehre monatelang von ihnen. Wenn andere das wüßten, würden sie mich bemitleiden. Ein so hoher Einsatz für scheinbar so geringen Lohn. Aber ich sehe mir andere Paare an und bin überzeugt, daß das, was wir hatten – haben –, weit mehr war – ist –, als sie sich je vorstellen könnten.
    Ich wollte diesen Brief nicht schreiben, Jim. Ich weiß, es macht Dich manchmal ärgerlich, wenn ich von dem spreche, was wir nicht haben können. Aber ich kann nicht so tun, als sehnte ich mich nicht nach Dir. Ich wollte, Du wärst hier bei mir, und wir könnten zusammen unter dieses Federbett kriechen. Ich weiß, daß keine Frau Dich so geliebt hat wie ich. Ich weiß, daß ich immer noch Dein Traum bin.
    Agnes legte den Kugelschreiber weg. Sie stützte den Kopf in die Hände. Der Schmerz war so frisch und scharf, als wäre Jim gerade aus dem Zimmer gegangen, um monatelang nicht wiederzukommen.
    Sie stand auf und ging ins Bad, um sich ein Papiertuch zu holen. Sie schneuzte sich. Sie würde den Brief nicht abschicken. Sie würde ihn nicht einmal zu Ende schreiben. Sie würde ihn in ihren Rucksack packen. Sie konnte es nicht riskieren, ihn hier im Papierkorb zurückzulassen, auch nicht, wenn sie ihn vorher zerrissen hatte. Aber wäre es denn so schlimm, ihre Geschichte einem Menschen zu erzählen, nur einem? Nora zum Beispiel? Nora würde ihr Geheimnis gewiß respektieren. So lange hatte Agnes allein mit ihrer Geschichte gelebt. Mußte sie den Rest ihres Lebens mit ihr allein bleiben? Was, wenn sie plötzlich stürbe? Wenn niemand von ihrer Liebesbeziehung wußte, wer sollte dann Jim Bescheid geben?
    Die Erinnerungen, die der Brief wachgerufen hatte, fielen jetzt über Agnes her. Sie erinnerte sich, wie sie mit vorgebeugtem Kopf dagesessen und Jim sie die ganze Wirbelsäule hinunter geküßt hatte. Wie sie zwei Tage vor Weihnachten in einem Motelzimmer in Bangor ein Kästchen geöffnet und einen Ring darin gefunden hatte – keinen Verlobungsring, einen schmalen silbernen Reif. Sie hatte ihn seither keinen Tag abgelegt. Sie erinnerte sich, wie sich Jims Muskeln unter ihrer Hand anfühlten. Sie erinnerte sich an die zahllosen Bars. An die knisternde Erregung des ersten Kusses am Abend. An die Berührung ihrer Hände, während die Drinks bestellt wurden. An die nie erlahmenden Gespräche über sich und ihre Beziehung, als gäbe es sonst nichts auf der Welt, was zählte. Sie erinnerte sich an ein Zimmer in Montreal, ein riesiges Zimmer mit vielen Betten. Sechs oder sieben jedenfalls. Selbst heute noch nannte sie es

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