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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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herabhängenden Ohrringen stand da an der Seitenlinie des Spielfelds; eine junge Frau, der das lange Haar über den Rücken fiel, wenn sie über ein Buch gebeugt in der Bibliothek saß, ohne zu merken, daß Harrison hinter ihr stand;Stephens Freundin, die auf Stephens Bett lag, während sie alle drei – Harrison, Nora, Stephen – Lynyrd Skynyrd und Eddie Kendricks hörten. Nachdem Harrison begriffen hatte, daß Nora und Stephen ein Paar waren, tauchte Nora plötzlich überall dort auf, wo auch Stephen war, und so hatte es sich ergeben, daß die drei so etwas wie eine Einheit geworden waren. Stephen schien Harrisons Anwesenheit nicht zu stören. Im Gegenteil, man hatte den Eindruck, er wünschte sie sich. Harrison war Publikum, und Stephen hatte gern Publikum, das wußte Harrison.
    Im letzten Jahr war Stephen der Star an der Schule, wurde allerdings nicht ganz ernst genommen. Bei den Spielen pflegte sich spontan eine Jubeltruppe zusammenzutun, die jedesmal, wenn der Shortstop zum Schlagmal kam, Steeven! Stee-ven! schrie. Der Jubel war Selbstzweck, wie vieles, was die Schüler in diesem Jahr taten, wie Harrison sich erinnerte, reine Ironie, eine Art doppelter Ironie, die darauf hinauslief, daß der Goldjunge der Schule tatsächlich gefeiert wurde. Von seiner Position auf der Second Base aus konnte Harrison schnelle Blicke in Noras Richtung senden, wenn der Werfer sich bereit machte. Sie stimmte im allgemeinen nicht in das Jubelgeschrei ein, aber manchmal gewahrte Harrison flüchtig ihr drolliges halbes Lächeln. Einmal, als Harrison ein Double Play hinbekam, schrien sie alle Harri-son! Harri-son! – dreifache Ironie!
    Gelegentlich, wenn Stephen im Unterricht war oder, was wahrscheinlicher war, im Bett lag und schlief, fand Harrison sich mit Nora allein. Er erinnerte sich an einen Tag Anfang Mai, als sie sich zufällig auf einem Fußweg begegnet waren.
    »Oh, hallo«, sagte Harrison. »Gehst du zum Training?«
    Es war ein warmer Tag. Nora hatte Shorts und ein T-Shirt an. Harrison trug eine lange Hose und ein langärmeliges Hemd, wie Coach D. es verlangte. Sie wollten an diesem Tag das Rutschen aus vollem Lauf üben.
    »Ja«, sagte Nora. »Aber – äh …« Sie blickte zum Meer hinaus.
    »Aber was?« fragte Harrison.
    »Kann – kann ich mal mit dir reden?«
    Das brauchte sie Harrison nicht zweimal zu fragen. »Natürlich«, antwortete er.
    Nora ließ ihren Rucksack und ihre Sporttasche zu Boden fallen. Harrison tat es ihr nach. Er folgte ihr zu einer großen Felsplatte über einer Bucht. Sie setzten sich.
    »Äh – Stephen trinkt«, sagte Nora ohne Umschweife.
    »Ich weiß«, antwortete Harrison. Die Schroffheit von Noras Aussage überraschte ihn.
    »Eine Menge.«
    »Ja, es ist schon ziemlich schlimm.« Harrison selbst hatte das seiner Meinung nach absolut Schlimmste erst ein paar Nächte zuvor erlebt: Stephen über der Kloschüssel hängend. Sein Zimmergenosse hatte auch dabei Publikum gewünscht, aber Harrison hatte ein Blick genügt, um die Grenze zu ziehen.
    »Woher bekommt er das Zeug?« fragte Nora.
    »Den Alkohol? Von Frankie Forbes.« Frankie Forbes war ein Einheimischer Anfang Zwanzig, der in der Gegend auf dem Bau arbeitete. Er kaufte Alkohol ein und verkaufte ihn jeden Donnerstagnachmittag von seinem Laster aus an Schüler. Nur gegen Cash. Ohne Ausweis.
    »Du trinkst auch«, sagte Nora. »Ich auch manchmal. Aber das ist nicht das gleiche.«
    »Nein.«
    »Wieso nicht? Wie kommt das?« Nora umschloß die hochgezogenen Knie mit den Armen. Ihre Beine waren nackt. Harrison erinnerte sich an sein Verlangen, ihr mit der Hand über die Wade zu streichen.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Stephens Motor läuft mit einer anderen Drehzahl als meiner.« Harrison, der die fixe Idee hatte, sich einen 69er Camaro zu kaufen, der in der Lokalzeitung angeboten worden war, dachte in diesem Frühjahr in Motorsportmetaphern. Wenn er seine Mutter dazu bewegen konnte, ihm das Geld zu schicken, das ein Flug nach Hause kostete, und er drauflegte, was er sich mit seiner Arbeit sonntags im Supermarkt am Ort verdient hatte, könnte er es beinahe schaffen und mit dem Auto für den Sommer heim nach Illinois fahren.
    Nora nahm ihr Haar im Nacken zusammen und drehte es zu einem Knoten am Hinterkopf. »Ich – ich weiß nicht, Harrison. Meinst du, wir sollten Hilfe für ihn suchen?«
    »Wir brauchen alle Hilfe«, sagte Harrison.
    »Nein, im Ernst. Ich mache mir Sorgen um ihn. Gestern abend. Gestern abend war er so blau, ehrlich,

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