Eine Insel
könnten sie überwältigen. Der Regen wäre unser Verbündeter«, flüsterte Pilu.
»Du hast gehört, was der Große gesagt hat. Ich werde kein Risiko eingehen. Sie hat mir das Leben gerettet. Schon zweimal.«
»Ich dachte, du hättest ihr das Leben gerettet.«
»Ja, aber dadurch, dass ich ihr das Leben gerettet habe, hat sie gleichzeitig auch meins gerettet. Verstehst du? Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich mich einfach an den größten Stein geklammert, den ich finden konnte, und wäre der dunklen Strömung gefolgt. Ein Mensch allein ist nichts. Zwei Menschen sind eine Nation.«
Pilu runzelte verwirrt die Stirn. »Und was sind dann drei Menschen?«
»Eine größere Nation. Wir sollten ihnen folgen… aber vorsichtig.«
Und dann hat sie mich noch ein zweites Mal vor Locaha gerettet, dachte er, als sie sich wieder auf den Weg machten, lautlos wie Geister im Regen. Er war aufgewacht, den Kopf voller Bilder von silbrigen Fischen, und die alte Frau hatte ihm alles erzählt. Er war zur weißen Stadt unter dem Meer gerannt, und dann war Daphne da gewesen und hatte ihn schneller nach oben gezogen, als Locaha schwimmen konnte. Selbst die alte Frau war beeindruckt gewesen. Das Geistermädchen hatte offenbar einen Plan, aber sie konnte ihm nicht sagen, was sie vorhatte. Mit ihren Stöcken und Speeren konnten sie ihr also einfach nur folgen. Nein, sie mussten ihr gar nicht folgen. Er wusste, wohin sie wollte. Er blickte ihrer blassen Gestalt nach, als sie die Männer über den Pfad hinunter zum Hain führte.
Wer mag wohl noch hier sein?, fragte sich Daphne. Sie hatte Mrs. Glucker oben an der Höhle gesehen, weil alle, die laufen konnten, dorthin gegangen waren. Doch in den hinteren Hütten lagen ein paar Kranke. Sie würde vorsichtig sein müssen…
Daphne hielt etwas trockenes Gras an das Feuer vor der Hütte und entzündete damit eine Lampe von der Judy. Sie tat es sehr behutsam und überlegte sich jede Bewegung genau, weil sie nicht über das nachdenken wollte, was sie als Nächstes tun würde. Diesen Teil musste sie ausblenden. Trotzdem zitterte ihre Hand – aber schließlich hatte ein Mädchen wohl auch das gute Recht, ein wenig zu zittern, wenn zwei Männer Waffen auf sie richteten.
»Setzen Sie sich doch«, sagte sie. »Wenigstens sind die Matten nicht so unangenehm wie der Boden.«
»Verbindlichsten Dank«, sagte Polegrave und blickte sich in der Hütte um.
Es brach ihr fast das Herz. Vor langer Zeit hatte eine Frau diesem Mann Manieren beigebracht, und zum Dank dafür war aus ihm ein Fiesling, Dieb und Mörder geworden. Doch nun, wo er Angst hatte und sich Sorgen machte, trieb ein Stückchen echter Höflichkeit aus fast vergessenen Tiefen an die Oberfläche wie eine kleine, klare Luftblase aus einem Sumpf. Das würde die Sache nicht gerade erleichtern.
Foxlip brummte nur und setzte sich mit dem Rücken zur Wand, die aus massivem Fels bestand.
»Das ist eine Falle, nicht wahr?«, sagte er.
»Nein. Sie haben mich aufgefordert, beim Leben meiner Mutter zu schwören«, sagte Daphne kalt und dachte: Und das war eine Sünde. Selbst für jemanden, der an keinen Gott glaubte, war das eine Sünde. Manche Taten waren einfach grundsätzlich Sünden. Und ich werde dich ermorden, was auch eine Todsünde ist. Aber es wird nicht wie ein Mord aussehen…
»Möchten Sie etwas Bier?«, fragte sie.
»Bier?«, sagte Foxlip. »Sie meinen richtiges Bier?«
»Jedenfalls wirkt es wie Bier. Teufelstrank. Ich habe gerade welchen frisch zubereitet.«
»Sie haben es selbst gemacht? Aber Sie sind ein edles Fräulein!«
»Dann mache ich vielleicht ›edles‹ Bier«, sagte Daphne.
»Manchmal muss man einfach tun, was getan werden muss. Möchten Sie nun was davon oder nicht?«
»Sie wird uns vergiften!«, sagte Polegrave. »Das ist alles ein Trick!«
»Wir nehmen gern etwas Bier, Prinzessin«, sagte Foxlip, »aber Sie werden es zuerst trinken. Wir sind schließlich nicht von gestern.« Er bedachte sie mit einem unangenehmen Augenzwinkern, voller List und Tücke und ohne jede Spur von Humor.
»Ja, Sie passen auf uns auf, kleines Fräulein, und wir werden auf Sie aufpassen, wenn Cox’ Kannibalenkumpel zum Picknick vorbeikommen«, sagte Polegrave.
Daphne hörte, wie Foxlip ihn verärgert anzischte, als sie nach draußen trat, aber sie hatte ohnehin keinen Moment lang geglaubt, dass die beiden sie tatsächlich »retten« wollten. Und Cox hatte offenbar die Räuber gefunden. Wen sollte sie mehr bedauern?
Sie ging nach
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