Eine Insel
lange Zündschnur in Brand zu stecken und dann sofort in die entgegengesetzte Richtung zu rennen. Der Knall war mächtig beeindruckend, und die meisten Leute waren rechtzeitig wieder auf den Beinen, um das Wasser aufspritzen zu sehen, als die Kugel auf der anderen Seite der Lagune einschlug.
Doch Daphne nahm nicht an der Freudenfeier teil. Natürlich war nach Cookies Meinung alles an Bord der Judy viel zu alt und reif für den Schrotthaufen gewesen, aber sie hatte alle Kanonenrohre penibel inspiziert und festgestellt, dass sie wirklich in katastrophalem Zustand waren. Vier hatten Risse und die letzte war von innen so zerklüftet wie die Mondoberfläche. Diese Kanonen erweckten nicht den Eindruck, als wollte man sie gerne abfeuern, zumindest nicht, wenn man in der Vorstellung aufgewachsen war, dass eine Kanonenkugel vorne herauszukommen hatte. Mau wollte ihr jedoch nicht zuhören, als sie versuchte, mit ihm darüber zu reden, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, den sie schon mal gesehen hatte. Damit sagte er ihr: »Lass mich in Frieden. Ich weiß, was ich tue. Alles wird gut.« Und in der Zwischenzeit hämmerten Milo und Pilu unten am Feuer geheimnisvollerweise auf leere Blechdosen aus der Kombüse der Judy ein. Sie klopften sie platt, waren aber nicht bereit, einen Grund für ihr Tun zu nennen. Ein paar Männer und ältere Jungen wurden in die Bedienung der Kanonen eingewiesen, aber da das Schießpulver zu knapp war, um sinnlos in der Gegend herumzuballern, begnügten sie sich damit, Holzstücke in den Lauf zu schieben und stolz »Burnm!« zu rufen.
Darin waren sie schon richtig gut und rühmten sich damit, wie schnell sie doch »Burnm!« rufen konnten. Daphne meinte dazu nur, dass der Feind hoffentlich genauso gut darin wäre, »Autsch!« zu schreien.
Ansonsten geschah nichts Besonderes. Bald waren sie mit dem Schweinezaun fertig und konnten somit die Felder vollständig bepflanzen. Sie begannen mit dem Bau einer neuen Hütte, die sie etwas höher am Hang errichteten. Neue Bäume wurden gepflanzt. Bei der ersten Schweinejagd seit der Welle schlitzte sich ein Mann das Bein auf. Daphne nähte die Bescherung wieder zusammen und wusch die Wunde mit Mutterbier aus, um sie zu desinfizieren. Mau hielt am Strand jede Nacht Wache, und die Unbekannte Frau war dabei häufig in seiner Nähe. Inzwischen vertraute sie den Leuten wenigstens so weit, dass sie ihren kleinen Jungen bei ihnen zurückließ. Und das war auch gut so, denn seit kurzem interessierte sie sich für Papierreben, sammelte auf der ganzen Insel die längsten Blätter und verflocht sie unermüdlich zu einem grünen Strick nach dem anderen. Und so kam es, wie es kommen musste, und die anderen Leute nannten sie nun die Papierrebenfrau.
Bei einer Gelegenheit überreichte sie feierlich Daphne ihr Baby, und Cahle machte eine Bemerkung, die Daphne nicht ganz verstand, worüber aber alle anderen Frauen lachten, also war es vermutlich so etwas wie »Es wird langsam Zeit, dass auch du eins machst!«.
Die Leute entspannten sich.
Und dann kamen die Räuber. Bei Sonnenaufgang. Sie kamen mit Trommeln und Fackelschein.
Mau rannte den Strand hinauf zu den Hütten, während er schrie: »Die Räuber kommen! Die Räuber kommen!«
Die Leute wachten auf und stolperten aufgeregt hin und her, rempelten sich gegenseitig an, während draußen das Klappern und Trommeln weiterging. Die Hunde bellten und sorgten für zusätzliches Durcheinander. Männer liefen allein oder zu zweit auf den Hügel zu den Kanonen, doch zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu spät.
»Ihr seid alle tot«, sagte Mau.
Draußen auf der Lagune verzog sich der Nebel. Milo und Pilu hörten auf, Krach zu machen, und paddelten mit ihrem Kanu zum Strand zurück. Die Leute blickten sich verärgert um und fühlten sich verspottet. Nichtsdestotrotz schrie ein Mann auf dem Hügel, so laut er konnte »Burnm!« und machte einen sehr selbstzufriedenen Eindruck.
Später wollte Mau von Daphne wissen, wie viele Opfer es gegeben hatte.
»Also, ein Mann hat seinen Speer auf den eigenen Fuß fallen lassen«, sagte sie. »Eine Frau hat sich den Knöchel verstaucht, weil sie über ihren Hund gestolpert ist, und der Mann an der Kanone ist mit der Hand im Kanonenrohr steckengeblieben.«
»Wie in aller Welt kann man mit der Hand im Kanonenrohr steckenbleiben?«, fragte Mau.
»Offenbar hat er eine Kugel hineingeschoben, die dann zurückgerollt ist und ihm die Finger eingequetscht hat«, sagte Daphne. »Vielleicht
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