Eine Insel
gewisser Weise. Ich weiß nicht, was die Papierrebenfrau zu bedeuten hat, aber der Planet Saturn ist von Ringen umgeben, und ich nehme an, sie sehen aus wie ein Gürtel, wenn man sie aus einem bestimmten Winkel betrachtet.«
»Es ist nur eine Geschichte.«
»Nein! Eine Geschichte hat man daraus erst gemacht! Die Monde gibt es wirklich! Genauso wie die Ringe! Deine Vorfahren haben sie gesehen, und ich wüsste gerne, wie. Dann haben sie sich diese Lieder ausgedacht, die Mütter ihren Kindern vorsingen! So wurde das Wissen weitergegeben, nur dass ihr gar nicht wusstet, dass es Fakten sind! Siehst du, wie die Götter glitzern? Sie sind mit winzigen Glassplittern besetzt.
Deine Vorfahren haben Glas hergestellt! Auch dazu habe ich eine Idee. Mau, wenn mein Vater kommt und mich nach Hause bringt, wird das hier die berühmteste Höhle der ganzen…«
Es war schrecklich, wie sich ihr Gesicht veränderte. Die Mimik wechselte ganz langsam von verzweifelter Aufregung zu düsterer Niedergeschlagenheit. Als würde ein Schatten über eine Landschaft ziehen.
Er fing sie auf, bevor sie stürzte, und spürte ihre Tränen auf seiner Haut. »Er wird kommen«, sagte er schnell. »Er muss viel Meer absuchen.«
»Aber er sollte den Kurs der Judy eigentlich kennen, und dies ist eine große Insel! Er hätte schon längst hier sein müssen!«
»Der Ozean ist aber noch viel größer. Und dann die Welle! Vielleicht sucht er weiter im Süden, weil er denkt, die Judy wäre gekentert. Oder im Norden, weil er denkt, du wärst mitgerissen worden. Er wird bestimmt kommen. Wir müssen uns darauf vorbereiten.«
Mau tätschelte ihren Rücken und blickte sich um. Die Kinder, die schnell das Interesse daran verloren, sich große dunkle Dinge anzusehen, die sie nicht verstanden, hatten sich um sie versammelt und beobachteten interessiert das Pärchen. Mau versuchte, sie zu verscheuchen.
Sie hörte auf zu schluchzen. »Was hatte der kleine Junge da in der Hand?«, fragte Daphne mit heiserer Stimme.
Mau winkte den Jungen heran und borgte sich dessen neues Spielzeug aus. Daphne warf einen Blick darauf und lachte. Es klang allerdings eher wie das Keuchen von jemandem, dem vor Staunen die Luft wegblieb. Mühsam stieß sie hervor: »Frag ihn bitte, woher er das hat.«
»Er sagt, Onkel Pilu hätte es ihm gegeben. Er ist im Götterteich getaucht.«
Onkel Pilu, bemerkte Daphne. Jetzt gab es auf der Insel viele Onkel und Tanten, jedoch nicht sehr viele Mütter und Väter.
»Sag dem Jungen, dass ich ihm dafür ein armlanges Stück Zuckerrohr gebe. Und er darf es so lange auslutschen, wie er mag. Ist das ein guter Handel?«
»Er grinst«, sagte Mau. »Ich glaube, er war schon überzeugt, als er nur das Wort ›Zuckerrohr‹ gehört hat.«
»Selbst ein ganzer Berg aus Zucker wäre dafür nicht genug gewesen.«
Daphne hielt die gekaufte Ware hoch. »Soll ich dir sagen, was das ist? Es wurde von jemandem gemacht, der nicht nur den Himmel beobachtet hat und zu fernen Ländern gefahren ist. Er hat auch über kleine Dinge nachgedacht, die den Menschen das Leben erleichtern könnten. Ich habe zwar noch nie gehört, dass jemand sie aus Gold gemacht hätte, aber das hier sind eindeutig falsche Zähne.«
Als sie viel älter war und ständig mit Konferenzen zu tun hatte, dachte Daphne häufig an den Kriegsrat zurück. Es war vermutlich der einzige, bei dem jemals Kinder zwischen den Teilnehmern herumgerannt waren. Zumindest war es der einzige Kriegsrat aller Zeiten, an dem Mrs. Glucker mit ihren neuen Zähnen teilnahm. Sie hatte sie Daphne aus der Hand gerissen, als sie Cahle demonstrierte, wozu das Gebiss gut war, und es war unmöglich, Mrs. Glucker etwas abzunehmen, wenn sie es nicht hergeben wollte. Es war viel zu groß für die alte Frau, und sie konnte damit bestimmt nicht essen, aber wenn sie bei Tageslicht den Mund öffnete, ging die Sonne auf.
Pilu redete die meiste Zeit, aber immer mit einem Auge auf Mau. Er sprach so schnell und intensiv, dass die Worte vor ihren Augen zu Bildern wurden, und was sie sah, war die Rede von Agincourt aus Heinrich V. oder wenigstens das, was dabei herausgekommen wäre, wenn Shakespeare klein und dunkelhäutig gewesen wäre und einen Lendenschurz statt Hosen getragen hätte – beziehungsweise Strumpfhosen in Shakespeares Fall. Aber es steckte noch viel mehr dahinter, und Pilu hatte ein wunderbares Talent zum Reden. Er begann mit der Wahrheit und hämmerte dann darauf herum und walzte sie aus, bis sie zwar sehr dünn
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