Eine Insel
der auch Mau heißt, und sein Kopf steht in Flammen, weil so viele neue Dinge darin sind. Was sagt er? In der Welle wurde er geboren, und er weiß, dass die Welt rund ist, und er ist einem Geistermädchen begegnet, dem es leid tut, auf ihn geschossen zu haben. Er nannte sich selbst den kleinen, blauen Einsiedlerkrebs, der über den Sand huschte und nach einem neuen Schneckenhaus suchte, doch nun blickt er in den Himmel und weiß, dass es kein Schneckenhaus gibt, das groß genug für ihn wäre. Du fragst ihn, ob er nicht sein möchte? Jede Antwort wäre eine falsche Antwort. Ich kann nur der sein, der ich bin. Aber manchmal höre ich in mir den Jungen, der um seine Familie weint.«
»Weint er auch jetzt?«, fragte Daphne und blickte zu Boden.
»Jeden Tag. Aber nur sehr leise. Du kannst ihn nicht hören. Pass auf, ich muss dir etwas erzählen. Locaha hat zu mir gesprochen. Am Strand hat er seine großen Flügel über mich gebreitet und die Räuber verjagt. Hast du es gesehen?«
»Nein. Die Räuber ergriffen die Flucht, sobald Cox ins Wasser stürzte«, sagte Daphne. »Willst du damit sagen, dass du dem Tod begegnet bist? Schon wieder?«
»Er hat mir gesagt, dass es mehr Welten als Zahlen gibt. So etwas wie ›Geschieht nicht‹ gibt es nicht. Dafür gibt es immer ein ›Geschieht irgendwo anders‹…« Er versuchte, es ihr zu erklären, und sie bemühte sich, ihn zu verstehen.
Als ihm die Worte ausgingen, sagte sie: »Du meinst, es gäbe eine Welt, in der die Welle nicht geschehen ist? Irgendwo… da draußen?«
»Ich glaube, ja… ich glaube, ich habe sie fast gesehen. Manchmal in der Nacht, wenn ich das Ufer bewache, kann ich sie fast sehen. Ich kann sie beinah hören! Und dort gibt es einen anderen Mau, einen Mann, der wie ich ist, und er tut mir leid, denn in seiner Welt gibt es kein Geistermädchen…«
Sie legte die Arme um seinen Hals und zog ihn behutsam näher heran. »Ich würde gar nichts ändern wollen«, sagte sie. »Hier bin ich nicht nur so etwas wie eine Puppe. Mein Leben hat einen Sinn. Die Menschen hören mir zu. Ich habe erstaunliche Dinge getan. Wie könnte ich in mein früheres Leben zurückkehren?«
»Wirst du das auch deinem Vater erzählen?« Seine Stimme klang plötzlich traurig.
»So etwas in der Art, denke ich, ja.«
Mau drehte sie vorsichtig herum, so dass sie aufs Meer hinausblicken konnte.
»Da kommt ein Schiff«, sagte er.
Der Schoner hatte draußen vor dem Riff bereits den Anker geworfen, als sie die Lagune erreichten. Daphne watete so weit hinaus, wie sie konnte, ohne darauf zu achten, dass ihr Rock vom Wasser emporgehoben wurde, während das Schiff ein Beiboot aussetzte.
Vom Ufer aus beobachtete Mau, wie der Mann im Bug des kleinen Bootes ins Wasser sprang, sobald es Daphne erreicht hatte. Dann watete er mit ihr zum Strand, dabei stützten sie einander und lachten und weinten gleichzeitig. Die Menge zog sich zurück und machte ihnen Platz, als sie sich in die Arme fielen. Mau jedoch behielt die zwei Männer im Auge, die gerade aus dem Boot stiegen. Sie trugen rote Jacken und hielten komplizierte Stöcke in den Händen, und sie sahen Mau an, als wäre er bestenfalls ein Ärgernis.
»Lass mich dich anschauen«, sagte Seine Exzellenz und trat zurück. »Aber du siehst ja… Was ist mit dir passiert? Deine Schulter blutet! Wir haben einen Arzt an Bord, ich werde ihn sofort…«
Daphne blickte an sich herab. »Das ist nur ein Spritzer«, sagte sie mit einer wegwerfenden Geste. »Außerdem ist es gar nicht mein Blut. Ich musste einem Mann das Bein absägen und hatte noch keine Zeit zu waschen.«
Hinter ihnen stieg ein dritter Soldat aus dem Boot. In der Hand hielt er ein dickes Rohr, das er nun entrollte. Er warf Mau einen nervösen Blick zu.
»Was ist hier los?«, wollte Mau wissen. »Warum haben sie Waffen? Was tut dieser Mann?« Er trat vor, und im nächsten Augenblick versperrten ihm zwei Bajonette den Weg.
Daphne drehte ihren Kopf und riss sich von ihrem Vater los.
»Was soll das?«, rief sie. »Ihr könnt ihn nicht daran hindern, sich frei in seinem eigenen Land zu bewegen! Was ist in dieser Röhre? Eine Flagge, nicht wahr? Ihr habt eine Flagge mitgebracht! Und Waffen!«
»Liebes, aber wir wussten doch nicht, was wir vorfinden würden«, sagte ihr Vater erstaunt. »Schließlich sind da oben Kanonen.«
»Ja, gut, richtig«, murmelte Daphne und stolperte über ihre eigene Wut. »Die sind nur Attrappen.« Erneut flammte ihr Zorn auf. »Aber diese Waffen nicht! Legt
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