Eine Insel
Bedauern muss ich dir sagen, dass du keineswegs die gesamte Theorie bewiesen hast. Dazu müsstest du tatsächlich ein Teleskop finden.«
»Das ist ungerecht!«, sagte Daphne.
»Nein, das ist Wissenschaft«, erwiderte ihr Vater. »Ein ›Könnte gewesen sein‹ genügt nicht. Auch nicht ein ›Es wäre möglich‹! Dazu ist schon ein ›So war es‹ nötig. Und wenn du mit einer solchen Hypothese an die Öffentlichkeit trittst, werden sehr viele Leute versuchen, dich zu widerlegen. Je häufiger sie dabei versagen, desto seltener wird man dich anzweifeln. Aber wahrscheinlich würden sie sogar darauf pochen, dass irgendein europäischer Reisender hier war und seine Brille verloren hat.«
»Und die falschen Zähne aus Gold?«, sagte Daphne schnippisch und erzählte ihm, was sich Mrs. Glucker als kostbarsten Besitz angeeignet hatte.
»Die würde ich mir sehr gern ansehen. So etwas werden viele Leute leichter akzeptieren können. Aber lass dich wegen des Teleskops nicht entmutigen. Zumindest steht unzweifelhaft fest, dass diese Insel die Heimat einer bislang unbekannten Seefahrerkultur war, die in den technischen Künsten große Fortschritte erzielte. Gütiger Himmel, die meisten Leute würden Freudentänze aufführen, wenn sie all das hier entdeckt hätten!«
»Nicht ich hab es entdeckt, sondern Mau«, sagte Daphne.
»Ich musste ihm nur über die Schulter blicken. Er musste an hunderttausend Vorfahren vorbeigehen. Es waren seine Vorfahren, die diese Höhle gebaut haben. Und sie haben den Globus mit dem Symbol einer Welle vor dem Sonnenuntergang verziert. Dieses Symbol trug seit Jahrtausenden jeder Mann von diesen Inseln als Tätowierung. Ich habe es gesehen! Und weißt du was? Ich kann beweisen, dass vor mir kein Europäer diese Höhle je betreten hat.«
Daphne blickte sich um, und ihr Brustkorb hob und senkte sich leidenschaftlich. »Siehst du das Gold an den Göttern und auf dem Globus und an der großen Tür?«
»Ja. Natürlich, mein Liebes. Wie könnte es mir entgangen sein?«
»Das ist der Beweis«, sagte Daphne und nahm die Lampe in die Hand. »Es ist immer noch da!«
Mau hatte eine der Seekarten von der Judy auf den Knien. Offiziell war dies eine Versammlung des Inselrats – wenn auf der Insel irgendetwas offiziell gewesen wäre. Jeder konnte kommen, und genau deshalb waren viele nicht gekommen. Es gab noch mehr Neuankömmlinge, die versorgt und ernährt werden mussten. Viele von ihnen kehrten vielleicht zu ihren eigenen Inseln zurück, falls die noch existierten, aber dazu mussten sie in guter Verfassung sein. Das bedeutete noch mehr Arbeit für alle. Und manche Leute waren nicht gekommen, weil sie zum Fischen hinausgefahren waren. Wenn es um Abstimmung oder Fischfang ging, fiel die Wahl meistens auf den Seebarsch.
»Alle roten Länder gehören den englischen Hosenmenschen?«
»Ja«, sagte Pilu.
»Das sind sehr viele Länder!«
»Ja.«
»So schlimm sind sie gar nicht«, sagte Pilu. »Die meiste Zeit wollen sie nur Hosen tragen und ihren Gott verehren. Er heißt übrigens Gott.«
»Einfach nur… Gott?«
»Genau. Er hatte einen Sohn, der Zimmermann war, und wenn man auch ihn verehrt, steigt man nach dem Tod über den schimmernden Pfad auf. Die Lieder sind nett, und manchmal bekommt man einen Keks.« Pilu sah Mau aufmerksam an.
»Was denkst du, Mau?«
»Mehr Menschen werden kommen. Und manche werden Waffen haben«, sagte Mau nachdenklich.
»Wohl wahr«, bestätigte Pilu. »In der Höhle ist sehr viel von dem gelben Gold. Hosenmenschen lieben es, weil es so schön glänzt. Wenn es um Gold geht, sind sie wie Kinder.«
»Große Kinder«, sagte Milo, »mit Waffen.«
»Was meinst du, was wir tun sollten, Cahle?«, fragte Mau, der immer noch die Karten betrachtete.
Die große Frau zuckte mit den Schultern. »Ich vertraue dem Geistermädchen. Der Vater eines solchen Mädchens kann nur ein guter Mann sein.«
»Was wäre, wenn ich mit einem Kanu zur Insel der Hosenmenschen segle und dort meine Flagge in den Sand stecke?«, sagte Tom-ali. »Würde sie dann uns gehören?«
»Nein«, sagte Mau.
»Sie würden dich auslachen. Flaggen sind so etwas wie Kanonen, die flattern. Wenn du eine Flagge hast, brauchst du auch Waffen.«
»Gut. Wir haben Kanonen.«
Mau verstummte.
»Und schlechtes Schießpulver«, gab Pilu zu bedenken. »Ich glaube… wenn man ein Saugfisch in einem Meer voller Haie ist, sollte man besser neben dem größten Hai schwimmen«, sagte Milo. Dieser Vorschlag fand allgemeine
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