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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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auch nicht. Sie schickt einfach nur Worte zum Himmel hinauf, dachte er. Warum redet sie so auf mich ein? Ärgert sie sich? Will sie mir sagen, dass ich etwas Falsches getan habe? Also, etwa gegen Mitternacht werde ich es noch einmal tun müssen, denn Babys brauchen immer wieder Milch!
    Und es konnte nur schlimmer werden. Ich muss mir eine andere Sau suchen! Ha, Geistermädchen, du warst nicht dabei, als sie gemerkt hat, dass etwas nicht stimmt! Ich schwöre, dass ihre Augen rot geglüht haben! Weglaufen? Wer hätte gedacht, dass etwas so Großes so schnell aufstehen und so schnell rennen kann? Ich bin ihr nur entkommen, weil die Ferkel nicht hinterherkamen! Und schon bald werde ich alles nochmal tun müssen, und immer wieder, bis die Frau ihr Baby selber stillen kann. Ich muss es tun, obwohl ich vielleicht gar keine Seele habe, obwohl ich vielleicht ein Dämon bin, der nur denkt, dass er ein Junge ist. Vielleicht bin ich nur eine leere Hülle in einer Welt voller Schatten. Weil …
    Sein Gedankenfluss versickerte im Sand. Dann riss er die Augen weit auf.
    Weil was? Weil es »nicht geschieht«? Weil ich… wie ein Mann handeln muss, damit sie mich nicht für nutzlos halten?
    Ja, auch, aber es ist noch mehr als das. Ich brauche den alten Mann und das Baby und die kranke Frau und das Geistermädchen, weil ich ohne sie sofort ins dunkle Wasser gehen würde.
    Ich habe nach den Gründen gefragt, und hier sind sie, schreiend und stinkend und fordernd, die letzten Menschen der Welt, und ich brauche sie. Ohne sie wäre ich nur ein Strichmännchen am grauen Strand, ein verlorener Junge, der nicht weiß, wer er ist.
    Aber sie kennen mich. Für sie bin ich wichtig, und das ist es, was ich bin.
    Daphnes Gesicht glänzte im Feuerschein. Sie hatte geweint.
    Wir können uns nur in Babysprache unterhalten, dachte Mau.
    Warum redet sie also die ganze Zeit?
    »Ich habe einen Teil der Milch in den Fluss gestellt, um sie zu kühlen«, sagte Daphne, während sie gedankenverloren mit einem Finger im Sand zeichnete. »Aber heute Nacht brauchen wir Nachschub. MEHR MILCH. Oink!«
    »Ja«, sagte Mau.
    Erneut verfielen sie in unbehagliches Schweigen, bis das Mädchen es wieder brach. »Mein Vater wird kommen, weißt du. Er wird kommen.«
    Das kam Mau bekannt vor. Er blickte auf ihre Zeichnung am Boden. Dort standen ein Strichmädchen und ein Strichmännchen Seite an Seite neben einem großen Kanu, das die Hosenmenschen als »Schiff« bezeichneten. Und während er das Mädchen betrachtete, dachte er: Auch sie tut es. Sie sieht den silbernen Faden, der in die Zukunft führt, und versucht, sich daran entlangzuhangeln.
    Das Feuer knackte in der Ferne und ließ Funken in den roten Abendhimmel emporsteigen. Heute war es fast windstill, so dass der Rauch bis zu den Wolken hinauftrieb.
    »Er wird kommen, ganz gleich, was du glaubst. Die Bitttagsinseln sind viel zu weit entfernt. Die Welle kann niemals bis dorthin gekommen sein. Und wenn doch, ist der Gouverneurspalast aus Stein gebaut und sehr stabil. Außerdem ist er der Gouverneur! Wenn er wollte, könnte er ein Dutzend Schiffe losschicken, die nach mir suchen! Und das hat er längst getan.
    Spätestens in einer Woche wird eins hier sein!«
    Sie weinte schon wieder. Mau hatte die Worte nicht verstanden, aber er kannte die Sprache der Tränen. Auch du bist dir der Zukunft nicht sicher. Sie schien dir so nahe, dass du sie in deinem Kopf sehen konntest, doch nun glaubst du, dass sie fortgespült wurde. Also versuchst du, sie durch Reden zurückzuholen.
    Er spürte, wie ihre Hand seine berührte. Mau wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, also drückte er ein paarmal behutsam ihre Finger. Dann zeigte er auf die Rauchsäule. Auf den Inseln konnten jetzt nicht mehr allzu viele Feuer brennen. Dieses Zeichen musste über viele Meilen hinweg sichtbar sein.
    »Er wird kommen«, sagte er.
    Für einen kurzen Moment wirkte sie erstaunt. »Du glaubst, dass er kommen wird?«
    Mau kramte in seiner dürftigen Sammlung von Ausdrücken.
    Aber eine Wiederholung konnte auch nicht schaden. »Er wird kommen.«
    »Na bitte, ich habe dir doch gesagt, dass er kommen wird«, erwiderte sie strahlend. »Er wird den Rauch sehen und Kurs auf diese Insel setzen! Eine Feuersäule bei Nacht und eine Rauchsäule am Tag, genauso wie bei Moses.« Sie sprang auf.
    »Aber solange ich noch hier bin, sollte ich mich lieber um den kleinen Jungen kümmern!«
    Sie lief davon, glücklicher, als er sie je zuvor erlebt hatte.
    Und dazu

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