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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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sich den Kopf. Diesmal war es wirklich schlimm gewesen, schlimmer als je zuvor. Außerdem war etwas hinzugekommen. Es hatte geklungen, als wären da noch andere Stimmen gewesen, sehr schwach oder weit entfernt, und sie hatten auch etwas anderes gerufen, was jedoch in dem ganzen Lärm untergegangen war. Noch mehr von dieser Sorte, dachte er finster. Sämtliche Großväter aus tausend Jahren, und alle schreien mich an, doch nie sagen sie mir etwas Neues.
    »Sie wollen, dass ich auch den letzten Gottesanker wieder aufstelle«, sagte Mau.
    »Weißt du, wo er abgeblieben ist?«
    »Ja, er liegt in der Lagune, und da kann er meinetwegen auch bleiben!«
    »Gut, aber was könnte es schaden, ihn wieder aufzustellen?«
    »Schaden?« Mau glaubte, nicht richtig zu verstehen. »Du willst dem Gott des Wassers danken?«
    »Du musst ja nicht daran glauben, aber die Leute würden sich besser fühlen«, sagte Pilu.
    Irgendetwas flüsterte Mau ins Ohr, doch es war zu leise, um es zu verstehen. Wahrscheinlich irgendein uralter Großvater, der etwas langsam war, dachte er verdrossen. Aber als Häuptling habe ich die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen besser fühlen, oder nicht? Entweder sind die Götter mächtig und haben meine Leute einfach sterben lassen, oder sie existieren gar nicht und all die Dinge, an die wir glauben, sind in Wirklichkeit nur Lichter am Himmel und Bilder in unseren Köpfen.
    Ist das nicht die Wahrheit? Und ist die nicht viel wichtiger?
    Die Stimme in seinem Kopf antwortete oder versuchte es zumindest. Jedoch war es, als würde man jemanden am anderen Ende des Strandes stehen sehen, der etwas rief. Man sah, wie er auf und ab sprang, mit den Armen herumfuchtelte, und vielleicht sogar, wie er die Lippen bewegte, aber der Wind wehte durch die Palmen und ließ die Schraubenbäume rascheln, die Brandung donnerte, und die Großvatervögel würgten gerade besonders laut, so dass einfach nichts zu verstehen war. Man wusste genau, dass jemand rief, nur hören konnte man es nicht.
    Und so war es auch jetzt in seinem Kopf. Zwar ohne den Strand, das Gehüpfe, das Gewinke, die Lippen, die Palmen, die Schraubenbäume, die Brandung und die Vögel, aber dafür mit dem gleichen Gefühl, dass einem etwas ganz, ganz Wichtiges entging. Aber er wollte ihre Befehle sowieso nicht mehr hören.
    »Ich bin der kleine, blaue Einsiedlerkrebs«, sagte Mau flüsternd. »Und ich renne. Aber ich lasse mich nicht wieder in ein Schneckenhaus sperren, weil… ja, dafür muss es einen richtigen Grund geben… weil… jedes Schneckenhaus zu klein für mich wäre. Ich will Gründe wissen. Gründe für alles. Ich kenne die Antworten nicht, aber bis vor ein paar Tagen wusste ich noch nicht einmal, dass es Fragen gibt.«
    Pilu beobachtete ihn aufmerksam, als wüsste er nicht genau, ob er lieber die Flucht ergreifen sollte oder nicht. »Lass uns gehen und mal nachsehen, ob dein Bruder kochen kann«, sagte Mau in ruhigem und freundlichem Tonfall.
    »Kann er nicht, normalerweise jedenfalls«, sagte Pilu. Wieder grinste er übers ganze Gesicht, doch diesmal hatte es etwas Nervöses an sich.
    Er hat Angst vor mir, dachte Mau. Dabei habe ich ihn gar nicht geschlagen oder auch nur die Hand erhoben. Allerdings habe ich versucht, ihn auf neue Gedanken zu bringen, und jetzt fürchtet er sich. Vor dem Denken. Für ihn ist es Zauberei.
    Es kann keine Zauberei sein, dachte Daphne. Zauberei ist nur ein hübsches Wort für »Ich verstehe es nicht«.
    Inzwischen standen mehrere Schalen mit zischendem Bier auf den Regalen in der Hütte. Die kleinen Blasen wurden immer größer, bis sie an der Abdeckung zerplatzten. Dieses Bier war noch nicht besungen worden. Mutterbier nannten sie es in diesem Stadium. Es war leicht zu erkennen, weil überall tote Fliegen herumlagen. Allerdings ertranken sie nicht etwa darin. Sie mussten nur ein wenig daran nippen und starben sofort, erstarrten zu kleinen Fliegenstatuen. Wenn etwas ein wahrer Teufelstrank war, dann dieses Gebräu.
    Man spuckte hinein, man sang ihm ein Lied, man bewegte die Hände in einem bestimmten Rhythmus, und der Dämon wurde fortgejagt nach, äh, wohin auch immer, und schließlich blieb ein bekömmliches Getränk übrig. Wie konnte so etwas sein?
    Daphne hatte eine Theorie. Immerhin hatte sie die halbe Nacht daran herumgetüftelt. Die Frauen waren auf der anderen Seite des Hains und pflückten Blumen. Wahrscheinlich würden sie Daphne nicht hören, wenn sie leise sang. Das Spucken… war offensichtlich

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