Eine Insel
wollte.
Milo sah Mau an. »Ich bin verwirrt.«
»Auf einem der Steine ist ein Stechzirkel eingraviert«, sagte Pilu munter. »Die Hosenmenschen benutzen Stechzirkel, um auf ihren Seekarten Entfernungen zu messen.« »Das bedeutet gar nichts«, tönte Milo. »Die Götter sind älter als die Hosenmenschen, und sie können auf die Steine gravieren, was sie wollen… He!«
Ataba war wieder über die Bordwand gesprungen. Mau sah gerade noch, wie seine Füße verschwanden.
»Es war dieser Zirkelstein, auf den er eingeschlagen hat!«, knurrte er und tauchte dem Alten hinterher.
Mittlerweile raste die Strömung regelrecht durch die Lücke auf das offene Meer. Sie packte Mau, als er der mageren Gestalt folgte, spielte mit ihm und wollte ihn gegen das zerklüftete Riff schleudern. Den Priester hatte sie bereits fest im Griff. Ataba kämpfte dagegen an, wollte unbedingt zu den weißen Steinblöcken, doch der Sog riss ihn mit, schlug ihn gegen die Korallen und wirbelte den alten Mann herum. Hilflos trieb er davon und zog eine dünne Blutspur hinter sich her.
Kämpfe niemals gegen die Gezeiten! Sie sind immer stärker als du! Das musste der alte Narr doch wissen!
Mau schwamm ihm hinterher, wand seinen Körper wie ein Fisch. Er brauchte seine ganze Kraft, um sich von den zerklüfteten Rändern des Riffs fernzuhalten. Vor ihm arbeitete sich Ataba zur Wasseroberfläche hinauf, suchte nach einem Halt und wurde im Schaum davongewirbelt.
Mau tauchte auf, um Luft zu holen, und schwamm weiter…
»
Blut im Wasser, Mau
«, sagte Locaha, der neben ihm schwamm. »
Und draußen vor dem Riff sind Haie. Was nun, kleiner Einsiedlerkrebs?
«
Geschieht nicht, dachte Mau und versuchte, schneller zu schwimmen.
Dämonenjunge nennt er dich. Er lächelt dir ins Gesicht, doch den Leuten erzählt er, dass du verrückt bist. Was bedeutet er dir?
Mau bemühte sich, an gar nichts zu denken. Aus dem Augenwinkel konnte er den grauen Schatten erkennen, der ohne Schwierigkeiten schneller schwamm als er.
»
Hier gibt es kein Schneckenhaus für dich, kleiner Einsiedlerkrebs. Du schwimmst aufs offene Meer hinaus.
«
Es gibt nur das, was geschieht und das, was nicht geschieht, dachte Mau, und er spürte, wie sich das tiefe Wasser unter ihm öffnete. Das Sonnenlicht schien blau durch die Wellen über ihm, aber unter Mau war das Meer grün und ging allmählich in Schwarz über. Und dort im letzten Lichtschein trieb Ataba und rührte sich nicht mehr. Blutfäden schlängelten von ihm fort wie Rauch von einem kleinen Feuer. Dann verdunkelte ein Schatten für einen Moment das Licht der Sonne und eine graue Gestalt zog über ihnen vorbei.
Es war das Kanu. Als Mau nach dem Priester griff, hörte er ein Platschen, und Pilu schwamm aus einer Wolke von Luftblasen hervor. Er ruderte wild mit den Armen und deutete in eine Richtung.
Mau drehte sich um und sah einen kreisenden Hai. Es war nur ein kleiner, grauer, doch mit Blut im Wasser war kein Hai klein, und dieser füllte Maus Welt vollständig aus.
Er stieß den alten Mann in Pilus Richtung, behielt dabei aber den Hai im Auge und sah seine irre zuckenden Blicke, als er vorbeischwamm. Mau strampelte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und hörte erst auf, als er wusste, dass Ataba zum zweiten Mal an Bord gehievt wurde.
Der Hai würde ihn angreifen, wenn er das nächste Mal zurückkehrte, das wusste Mau genau. Und…
… plötzlich spielte es keine Rolle mehr. Dies war die Welt, die ganze Welt. Nur diese lautlose, blaue Kugel aus weichem Licht und der Hai und Mau. Eine kleine Kugel aus Raum, aber ohne Zeit.
Er schwamm ganz ruhig auf den Fisch zu, was diesen offenbar sehr zu irritieren schien. Maus Gedanken kamen langsam und gelassen, ohne Furcht. Pilu und Ataba müssten inzwischen wieder sicher im Boot sein, und nur das zählte. Wenn ein Hai direkt auf dich zukommt, bist du so gut wie tot, hatte der alte Nawi gesagt, und wenn du sowieso schon tot bist, ist es auch egal, was du ausprobierst…
Er tauchte langsam auf und holte noch einmal tief Luft.
Als er wieder nach unten sank, hatte der Hai gewendet und schnitt durch das Wasser genau auf ihn zu.
Warte noch…
Mau trat vorsichtig Wasser, während sich der Hai unaufhaltsam näherte, genauso grau wie Locaha. Er hatte nur eine einzige Chance. Jeden Augenblick konnten mehr Haie kommen, und ein zweiter schwamm bereits an der Arena aus Licht vorbei.
Jetzt kam er…
Noch einen Moment. Jetzt…
Geschieht nicht, dachte Mau mit Nachdruck und stieß
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