Eine italienische Kindheit
haben. Der Anlass war, dass ich mich einmal über die Geschicklichkeit wunderte, mit der er Nägel einschlug, und ihn fragte, wo er das gelernt habe. Wenn es darum ging, eine Kiste zuzunageln, steckte er die Nägel zwischen die Lippen, nahm dann einen nach dem anderen mit der linken Hand heraus und schlug sie mit dem Hammer in der Rechten mit wenigen präzisen Schlägen ins Holz. Nie schlug er daneben, obwohl alles äußerst schnell ging. Dieses Handwerk brachte ihm jedoch wenig Geld ein, und da seine Brüder noch zu jung waren, um selbst etwas zu verdienen, musste er sich etwas anderes einfallen lassen. Inzwischen war er achtzehn geworden und musste den obligatorischen Militärdienst ableisten. Er ergriff die Gelegenheit und meldete sich für das italienische Kolonialheer, wo die Freiwilligen einen anständigen Sold erhielten. So wurde er nach Libyen geschickt, wo er etwa zwei Jahre blieb. Aber der Soldatenberuf lag ihm überhaupt nicht, er brachte es auch nur bis zum Obergefreiten.
Bei der Rückkehr aus Libyen bot sich ihm eine große Chance. Ein ferner Verwandter schlug ihm vor, ein Möbelgeschäft, das in einer der wichtigsten Straßen von Catania lag, mit ihm zusammen zu betreiben. Der Verwandte hatte es von einer reichen Frau, die sich in ihn verliebt hatte, zum Geschenk erhalten, aber er war, weil er nichts gelernt hatte, völlig unfähig, es zu führen. Mein Vater nahm das Angebot mit Begeisterung an, aber auch er verstand nichts vom Handel. Die Dinge liefen von Anfang an nicht gut, dann aber so schlecht, dass die beiden nach ein paar Jahren gezwungen waren, das Geschäft wieder aufzugeben. Immerhin machte mein Vater auf diese Weise seine ersten Erfahrungen imHandel, der sein wahrer Beruf werden sollte. Ein Geschäft machte er aber nie wieder auf. In der Zwischenzeit waren auch seine jüngeren Brüder unter der Zucht der Mutter, die sich nicht wieder verheiratete, erwachsen geworden. Sie war eine Frau von hartem, widerborstigem Charakter, aber sehr auf die Erziehung ihrer Söhne bedacht. Auch die jüngeren ließ sie ein Handwerk erlernen: Der zweite wurde ebenfalls zum Möbelschreiner ausgebildet, der dritte wurde Schneider, der vierte Polsterer.
Diese Großmutter väterlicherseits führte ein sehr strenges Regiment, denn sie legte großen Wert darauf, dass ihre Söhne anständige Leute wurden. Ihre Überzeugung war, dass sie allen Lastern der traditionellen Gesellschaft ausgeliefert waren, und so fürchtete sie das Rauchen, das Glücksspiel und die Frauen wie die Pest. Es galt die Regel, so erzählte mein Vater, dass sie alle vier um zehn Uhr abends wieder zu Hause sein und ins Bett gehen mussten. Das war die Regel, Ausnahmen gab es nicht. Wenn sie sich verspäteten, erwartete die Mutter sie hinter der Tür mit dem Stock. So machten die Brüder untereinander aus zu warten, bis der letzte eingetroffen war, um den auszuwählen, der sich als erster präsentieren und die Prügel einstecken sollte, damit die anderen heil an der Mutter vorbeischlüpfen konnten.
Mein Vater verließ seine Familie relativ früh. Er heiratete jung meine Mutter und widmete sich seinen Geschäften, für die er sehr oft reisen musste, was im Grunde immer schon seine Leidenschaft gewesen war. Für mich war es aber immer eine Qual, mit ihm zu reisen, denn er hatte die Angewohnheit, bei jedem Halt des Zugs auch in den kleinsten Ortschaften auszusteigen und, was noch schlimmer war, erst im letzten Augenblick, wenn der Zug sich schon in Bewegungsetzte, irgendwo wieder einzusteigen, also nie in den Wagen, wo ich auf ihn wartete. So geriet ich jedes Mal in Panik, wenn der Zug abfuhr und ich ihn nicht sah. Doch gewöhnlich hörte man dann schon von weitem im Korridor seine dröhnende Stimme. Das war das Zeichen, dass er wieder eingestiegen war und ich meine Angst beruhigen konnte, allein weiterreisen zu müssen, ohne zu wissen, wo ich aussteigen sollte. Wegen dieses rastlosen Aktivismus gaben seine Freunde meinem Vater den etwas despektierlichen Spitznamen «cacafuoco» – Feuerscheißer.
Die Leidenschaft für das Reisen führte meinen Vater in fernere Länder, als er es sich vielleicht in der Jugend erträumt hätte. In diesen Tagen habe ich wieder ein altes Buch aufgeschlagen, das ich schon seit vielen Jahren nicht mehr in die Hand genomen hatte, und fand darin eine Ansichtskarte mit seinen Grüßen aus Damaskus vom 15. Juni 1958. Sie hat mich wieder daran erinnert, dass mein Vater schon 1946 damit begonnen hatte, Rohholz und dann
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