Eine italienische Kindheit
Furnierholz in den Vorderen Orient zu exportieren, nach Ägypten, Libanon, Syrien, Irak, Jordanien bis hin nach Pakistan. Er reiste deshalb oft in diese Länder, mit dem Schiff oder mit dem Flugzeug, und wenn er wieder heimkam, erzählte er die wunderbarsten Geschichten von allem, was er gesehen und erlebt hatte. Berühmt war bei uns die Geschichte vom katholischen Bischof von Mossul, bei dem er zum Essen eingeladen war, wo bei Tisch alle Gäste, und der Bischof voran, mit den Händen aßen, weil es kein Besteck gab.
Das Interesse, dass die deutschen Soldaten in meiner Kindheit für alles Deutsche geweckt hatten, zwang mich schließlich zu einer drastischen Abrechnung mit meinen sizilianischen Ursprüngen. In einem bestimmten Moment meinerJugend wurde mir klar, dass mein Vater die allerbesten Gründe gehabt hatte, Sizilien zu verlassen und nach Mittelitalien zu ziehen. Es brauchte Zeit, bis ich das begriff, auch weil sein Beispiel mir nicht genügte. Eine solche Entscheidung wollte ich aufgrund meiner eigenen Erkenntnis treffen. Ein nicht unerhebliches Hindernis war die Erinnerung daran, dass ich in Rom von meinen Altersgenossen nicht akzeptiert worden war. Aber dann sah ich ein, dass es besser war, sich diesen Schwierigkeiten zu stellen, als in Catania zu bleiben, mit der Aussicht, im besten Fall irgendwann in den Kreis der städtischen Notabeln einzutreten. Als die Zeit kam, ein Universitätsstudium zu beginnen, fasste ich den großen Entschluss, dem Beispiel meines Vaters zu folgen und zu ihm nach Rom zu gehen.
Damit war mein Abschied von Sizilien aber noch nicht endgültig. Es blieb mir der beharrliche Wunsch zu verstehen, warum das Leben auf der Insel, wo ich geboren worden war, so unerträglich im Vergleich zum Leben in diesem anderen Teil Italiens war. Nach dem Abschluss meines Studiums unternahm ich ausgedehnte Archivforschungen in Neapel, Palermo und Spanien. Zehn Jahre lang beschäftigte ich mich mit der Geschichte Siziliens und schrieb auch einige Aufsätze, die ich jedoch nicht veröffentlichte. In der gleichen Zeit las ich immer wieder die Werke der bedeutendsten sizilianischen Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts, jene von Giovanni Verga bis hin zu denen von Luigi Pirandello, Vitaliano Brancati, Giuseppe Bonaviri. Zuletzt las ich auch den Roman
Il Gattopardo
von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Seine Lektüre half mir, mit der Idee der «Sicilianità», die eine Art metahistorisches Sizilianertum beinhaltete und mich abstieß, endgültig aufzuräumen. Von allen sizilianischenSchriftstellern war der Fürst von Lampedusa derjenige, welcher sich, wenn auch auf zweideutige und mit Skeptizismus durchtränkte Weise, am meisten an dieser abgestandenen Ideologie berauschte. Unter dem Anschein des Bedauerns über den ewigen Immobilismus der sizilianischen Gesellschaft legitimiert er letztlich die historische Realität, die er dazu nur annähernd und schlecht kannte. Es fehlt bei ihm auch nicht ein Anflug von stolzer Überheblichkeit, wenn es sich um die parasitäre Adelskaste, der er selbst angehörte, handelte. Hinter der Besitzung Donnafugata, von der im Roman so häufig die Rede ist, verbirgt sich das Städtchen Palma di Montechiaro in der Provinz Agrigent, Feudalgut der Tomasi di Lampedusa, das bekannt war und ist wegen der dort prosperierenden Mafia.
Zum Schluss fand ich endlich den Faden – er verwies mich auf die feudale Ethik. So begann ich, die Geschichte jenes Landes zu studieren, aus dem das Lehnswesen nach Sizilien gekommen war, nämlich die französische. Wie gesagt, die Normannen hatten dieses System schon im 12. Jahrhundert auf der Insel eingeführt. Ich beschloss, einen der Knotenpunkte der französischen Geschichte unter die Lupe zu nehmen, den entscheidenden Moment, als Frankreich diese Erblast abschüttelte. Das erste Buch, das ich veröffentlicht habe, ist eine kritische Ausgabe des Hauptwerks von Abbé Sieyès, der einer der Protagonisten der Revolution von 1789 war und ihre programmatischen Ziele am besten in seiner Schrift
Qu’est-ce que le Tiers État?
artikuliert hat. Obwohl auch in Sizilien die wichtigsten feudalen Institutionen abgeschafft wurden, überlebten hier doch die Mentalität und die Ethik des Feudalwesens.
Nach diesen Studien und Reflexionen schrieb ich 1976einen Aufsatz zur sizilianischen Geschichte, den einzigen, den ich veröffentlicht habe. Ich stützte mich dabei auf das im Laufe der Jahre zusammengetragene Archivmaterial und behandelte ein Thema aus der
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