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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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der Ton runtergedreht worden war. Guarnaccia konnte nicht umhin, ihm zu erzählen, daß das Gesicht des Mädchens nicht mehr zu erkennen war, aber er sagte nicht, warum, sagte nicht, daß da überhaupt kein Gesicht mehr war. Und er sagte auch nichts über die Hände. Die Hände, die Forli soviel erzählt hätten, sie hätten auch Peruzzi viel erzählt. Er hatte sie gelehrt, was sie wußten, und das bedeutete ihm bestimmt viel. Er würde ihm nichts von den Fischen in dem Teich verraten, nicht, solange er meinte, Peruzzis Herz laut klopfen zu hören. Sprich langsam, ruhig, möglichst umständlich. Laß ihm Zeit, das Ganze Stück für Stück aufzunehmen. Ob ein Krankenwagen es zu dieser kleinen Piazza wohl schaffen würde, wenn …? Die Gassen, die hierherführten, waren so schmal, die Hauswände würden auf jeden Fall in Mitleidenschaft gezogen werden, sofern der Wagen überhaupt durchkam. Peruzzi wirkte schrecklich angespannt, war so still geworden. Einen dieser vertrauten Wutausbrüche hätte er deutlich weniger alarmierend gefunden. Wieviel Zeit war seit der Operation eigentlich vergangen? Mußte er jetzt sagen, daß sie ermordet worden war? Peruzzi war clever, vielleicht hatte er begriffen, würde fragen. Erzähl ihm nicht alles auf einmal, das ist nicht nötig. Die glatte, alte Bank, die Dunkelheit, dieses Gefühl, von der übrigen Welt durch den Vorhang abgeschnitten zu sein, der Geruch nach Leder vom Kniepolster … Erzähl nicht alles, vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt …
    Hatte er die Sache mit der Schokolade gebeichtet? War das eigentlich vor oder nach seiner ersten Beichte geschehen? Er hatte immer mit diesem schrecklichen Gefühl der Scham zu kämpfen, das nicht unbedingt mit einem bestimmten Vorfall, einer bestimmten Verfehlung in Verbindung stand. Darum erfand er seine Sünden immer. Ich war meinem Vater dreimal ungehorsam, meiner Mutter viermal. Veränderte die Zahlen jede Woche. Der Vorhang aus dickem, dunkelrotem Samt …
    Sprich ganz ruhig über sie, über das, was Lapo erzählt hatte. Erzähl Gutes von ihr, bis auch er endlich anfängt zu reden. Wer redet, muß atmen.
    Wenn man aus der Dunkelheit schließlich zum schimmernden Kerzenlicht zurückkehren durfte und an dem kleinen Knauf zog, quietschte die Tür laut. Das Zeichen für den Priester, einen alten, bösen Mann, mit seiner gichtigen Hand nach dem dunklen Vorhang zu grapschen und in die Dunkelheit zu starren, um festzustellen, wer zur Beichte gekommen war und wer nicht.
    Erzähl ihm nur, was unbedingt notwendig ist. Die Einzelheiten können warten.
    Peruzzi hielt den Kopf in den Händen verborgen, rieb sich die Augen. Dann wandte er sich zum Maresciallo um.
    »Aber wie können Sie so sicher sein? Wenn doch ihr Gesicht … Woher wollen Sie es wissen? In dieser Stadt gibt es viele japanische Touristen …«
    »Wissen Sie, wo sie normalerweise hinging, um sich die Beine zu vertreten und ihr Sandwich zu essen?«
    »Den ganzen Tag immer nur sitzen … Mir hätte ein wenig Bewegung bestimmt auch ganz gutgetan, vielleicht wäre es um meine Gesundheit dann besser bestellt.«
    »Haben Sie sie mal begleitet?«
    »Nein. Nein, ich ziehe eine gute Mahlzeit und ein paar Minuten mit meiner Zeitung vor. Nein, ich bin nie …« Er starrte zum Schaufenster hinaus, ohne irgend etwas wahrzunehmen. Dann stand er auf, zog den Vorhang zu und setzte sich wieder. Sein Gesicht war ganz blaß, um die Lippen lag ein bläulicher Schatten.
    Der Maresciallo fuhr fort, sehr vorsichtig, ließ den Schuhmacher dabei nicht aus den Augen.
    »Aber vielleicht wissen Sie dennoch, wo sie gerne hinging? Gehörte dieser Teich zu ihren Lieblingsplätzen?«
    »Sie hat mir gesagt, daß sie am liebsten nur ein bißchen herumlief, bis sie ein ruhiges Plätzchen entdeckte. Eine Ecke im Park, ein Brunnen auf einer Piazza. Sie wollte Florenz erforschen, sagte sie. In den Boboli-Garten ging sie nicht oft. Der kostet Eintritt. Sie können nicht mit Sicherheit sagen, daß sie es ist, wo doch ihr Gesicht …«
    Schweigend reichte ihm der Maresciallo den Schuh. Im Gegensatz zu Issino zuckte Peruzzi nicht entsetzt zurück, sondern nahm ihn in seine große Hand, mit der er ihn fast ganz umschließen konnte, und fuhr mit den Fingern über die Nähte, als wolle er Blindenschrift ertasten.
    »Wir müssen dennoch eine formelle Identifizierung durchführen.«
    »Sie hat in einem Jahr gelernt, wozu ich fünf gebraucht habe.« Seine knochigen, von der Arbeit mit Narben gezeichneten Finger

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