Eine Japanerin in Florenz
hatten Peruzzi den Rücken zugewandt, der sie mit seinem stechenden Blick am liebsten umgebracht hätte.
»In meinem Geschäft in der Borgo San Jacopo Straße haben Sie eine viel größere Auswahl, und meine Verkäuferin wird Sie kompetent beraten.«
Sie ignorierten ihn, zweifellos weil sie kein Wort verstanden.
Die Frau hatte einen Schuh aus dem Fenster genommen, stellte ihn auf den Boden und zog den Baumwollvorhang zur Seite, um noch einen weiteren herauszuholen. Ihr Mann tippte äußerst geschäftig Zahlen in einen Taschenrechner. Sie betrachteten gemeinsam das Ergebnis seiner Berechnungen und unterhielten sich kurz in ihrer Sprache. Dann ließ sie den zweiten Schuh einfach auf den Boden fallen, und ohne ein weiteres Wort verließen sie die Werkstatt.
Peruzzis Gesicht war knallrot.
»Haben Sie das gesehen? Als war das hier ein Supermarkt! Stiefeln herein, ohne guten Tag zu sagen, diskutieren einen halben Meter vor mir über meine Schuhe, als wäre ich nicht da. Und dann auch noch dieser Taschenrechner! Das machen sie alle! Und staunen darüber, daß meine Schuhe mehr kosten als dieser Mist aus der Fabrik, den sie von zu Hause kennen. Vielen Dank auch und einen wunderschönen Tag noch! Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen!«
Peruzzi knallte die Tür zu und schloß sie ab. Draußen auf der Straße faltete das ahnungslose Paar einen Stadtplan auf. Peruzzi wandte sich wieder seinen Schuhen zu, noch immer wütend vor sich hin schimpfend. Der Maresciallo meinte, das Wort Flammenwerfer aufgeschnappt zu haben. Nun, den würde Peruzzi kaum brauchen, denn durch seinen maßlosen Zorn war die Atmosphäre in dieser winzigen Werkstatt spannungsgeladen.
»Beruhigen Sie sich doch erst einmal«, schlug er vorsichtig vor. »Ihre Gesundheit ist viel wichtiger. Können Sie die Tür nicht einfach abgeschlossen lassen?«
»Dann sterbe ich hier vor Hitze!« Wütend erhob er sich und zerrte die Tür wieder auf. Dann richtete er seine noch immer zornig funkelnden Augen auf den Maresciallo. »Sie brauchen mir erst gar nicht zu erzählen, was Sie wollen. Ich habe dazu nichts mehr zu sagen. Wenn sie nicht in Rom ist, habe ich keine Ahnung, wo sie sich rumtreibt. Vielleicht ist sie ja sogar nach Hause gefahren, zurück nach Tokio. Mag ja sein, daß Sie die Zeit haben, hinter Jugendlichen herzulaufen, die nicht wissen, was sie wollen. Ich habe sie nicht. Ist das klar?«
Der Maresciallo wich keinen Schritt zurück, behielt seine ausdruckslose Miene bei. Doch die zügellose Wut des Schuhmachers schien wie ein Gummiball von den Wänden des kleinen Raumes immer wieder zurückzuprallen, und seine ganze sorgfältig geplante Einleitung war für die Katz. Lapo hatte geredet, aber offenbar nicht alles gesagt.
»Können wir uns einen Augenblick setzen?« Er sprach bewußt ruhig und langsam, in der Hoffnung, die Atmosphäre ein wenig zu entspannen.
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß sie in Rom einen Freund hat! Mehr weiß ich auch nicht. Wie vielen von euch muß ich das denn noch sagen, bevor ihr mich endlich in Ruhe laßt?«
»Peruzzi, setzen Sie sich bitte. Ihrem Lehrling, dem japanischen Mädchen, ist etwas zugestoßen. Ich muß mit Ihnen reden. Es ist wichtig, und möglicherweise werden Sie sich darüber aufregen. Setzen wir uns also zuerst einmal.«
Er sah, wie die Wut ganz plötzlich von Peruzzi abfiel, und sofort bedauerte der Maresciallo das. Trotz seiner Größe, seiner Drahtigkeit und seines groben, knochigen Gesichts wirkte der Schuhmacher nun alt und verletzlich. Wenn Peruzzi die Neuigkeiten, die er ihm überbringen mußte, zu nahe gingen, womit er durchaus rechnen mußte, dann würde sich dieser alte, aufbrausende Kauz vielleicht nie mehr davon erholen und als bemitleidenswerter Pflegefall enden.
Aber es gab kein Zurück. An den Tatsachen war nichts mehr zu ändern. Er überredete ihn dazu, sich endlich zu setzen, und dann begann er zu erzählen.
Er sah Peruzzi nicht an, während er sprach, sondern saß neben ihm auf der glattpolierten, alten Bank, spürte jeden seiner Atemzüge, die wachsende Anspannung in seinem drahtigen Körper. Hinter dem zur Hälfte geschlossenen Vorhang gingen die Leute ihren Geschäften nach. Immer mal wieder erschien Lapos Kopf hinter der Hecke, ein Mofa heulte auf. Jemand, der nicht zu sehen war, rief aus einem Fenster im oberen Stockwerk einem nach oben gewandten Gesicht auf der Straße etwas zu. Aber all das schien in einer anderen Dimension zu passieren, in einem Fernseher, bei dem
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