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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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ertasteten noch immer den Schuh, Naht für Naht. Der Maresciallo konnte die Augen von seinen Händen nicht abwenden. »Sie hatte eine andere Lernmethode als wir. Sie lernte nicht durch Wiederholen, nicht durch Versuch und Irrtum.« Seine Finger tasteten noch immer den Schuh ab, aber er sah nicht hin. »Vom ersten Tag an mußte ich ihr alles, was ihr nicht hundertprozentig gelang, noch einmal zeigen. Dann blieb sie lange, sehr lange ganz still sitzen und dachte nach. Und dann machte sie die Arbeit noch einmal, und das Ergebnis war in Ordnung. Nicht perfekt, auch nicht schnell, aber in Ordnung. Sie ist klug, das macht den Unterschied. Sie ist einfach klug …«
    »Wir müssen ihre Eltern informieren. Haben Sie die Adresse?« Er hatte keine Ahnung, für wen es schlimmer sein würde, den entstellten Leichnam zu identifizieren, für die Eltern oder für Peruzzi? Und er hatte noch immer keine Ahnung, in welcher Beziehung Peruzzi und sein weiblicher Lehrling zueinander gestanden hatten. Er mußte verhindern, daß Peruzzi wichtige Informationen zurückhielt, weil er möglichem Ärger aus dem Weg gehen wollte, wenn amtlich bekannt wurde, daß er seine Lehrlinge in einem Hinterzimmer der Werkstatt wohnen ließ. Der Maresciallo machte vorsichtig weiter. Diese blauen Schatten um die Lippen des Schuhmachers gefielen ihm überhaupt nicht, ganz und gar nicht. Er würde ihn noch einmal nach ihrer Adresse und nach der ihrer Eltern fragen. Mit Sicherheit würden sie in der Wohnung irgend etwas zur Bestimmung ihrer dna finden. Er ließ den Schuhmacher nicht aus den Augen, der noch immer vor sich hinstarrte, ohne irgend etwas wahrzunehmen, während seine Finger über die Nähte des kleinen Schuhs wanderten. Was sollte er tun? Im Geiste stellte er dem Capitano diese Frage. Und schon hörte er ihn antworten: ›Folgen Sie Ihrem Gefühl. Sie kennen Ihre Leute.‹
    Erde, Luft, Feuer, Wasser und die Florentiner.
    Wo führte das alles hin? Er saß neben einem Mann, der alt wurde, der einiges – auch wenn der Maresciallo noch nicht sagen konnte, was genau – in eine junge Ausländerin investiert hatte.
    »Wenn sie doch nur in die Heirat eingewilligt hätte. Sie hat immer gesagt, sie wolle nicht heiraten, aber ich dachte, mit dem Baby … dann wäre sie auch geblieben. Sie sagte, sie sei so glücklich hier, aber man kann nie wissen, ob sie nicht eines Tages doch Heimweh bekommen hätte nach ihrem Land, ihrer Familie … man kann nie sicher sein. Aber ein Baby, ja, das wäre was anderes, das hätte bestimmt den Ausschlag gegeben, nicht wahr?« Er wandte sich dem Maresciallo zu, suchte nach einer Bestätigung in seinen Augen.
    »Ja, da bin ich mir sicher. Ein Baby hätte bestimmt den Ausschlag gegeben.«
    Peruzzi blickte nach unten auf den Schuh, als sähe er ihn zum ersten Mal. Er drehte ihn um, suchte nach Fehlern, strich mit der Hand über die Kante der Sohle.
    »Die erste Schicht ist Leder, die zweite Gummi und die dritte wieder Leder. Wasserfest. Aber sie hat dann noch diese kleine Gummisohle aufgeklebt, weil sie wollte, daß sie ewig halten. Es war ihr erstes Paar Schuhe.« Er lächelte bei dem Gedanken, verstummte und starrte wieder ins Leere.
    Folgen Sie Ihrem Gefühl. Einfacher gesagt als getan. Welch verrückte Hoffnungen Peruzzi auch gehegt hatte – er war da schließlich nicht der erste –, aber was in Gottes Namen hatte sich dieses japanische Mädchen dabei gedacht? Obwohl, auch sie war mit Sicherheit nicht die erste, wenn es darum ging, einen alten Mann der Lächerlichkeit preiszugeben. Nein, nein, das paßte alles nicht zusammen. Er lehrte sie sein Handwerk, vermittelte ihr sein ganzes Können. Sie wird ihn dafür bewundert haben, natürlich, und man konnte nie wissen, was Frauen attraktiv fanden … schließlich war sie schwanger, aber …
    Er mußte Peruzzis dna überprüfen lassen, falls sie in ihrer Wohnung irgend etwas entdeckten, was darauf schließen ließ, daß er sich dort aufgehalten hatte. Aber heute würde er nicht danach fragen.
    Prüfend betrachtete er Peruzzis Gesicht. Es wirkte nicht mehr ganz so blaß.
    »Wie fühlen Sie sich? Das war ein schlimmer Schock für Sie, dabei sollten Sie besonders vorsichtig sein.«
    Und wenn er sich noch so bemühte, er konnte es einfach nicht glauben. Aber wer zahlte für ihre Kleidung wenn nicht Peruzzi? Wer? Was hinderte ihn eigentlich daran, ihn einfach zu fragen?
    »Peruzzi? Sie haben gesagt, sie sei eine hübsche Frau gewesen, und Ihre Nachbarn – die sie alle offenbar sehr

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