Eine Japanerin in Florenz
lange, und als ich sagte, daß ich sicher sei, Sie würden Ihre Pflicht tun, da meinte ich das auch so.«
»Dann helfen Sie mir.«
»Was wollen Sie denn noch von mir? Habe ich irgend etwas verraten? Wir stellen uns alle vor unsere Leute, Maresciallo. Das ist klar. Aber Peruzzi beschuldigen? Nein, auf gar keinen Fall. Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht. Natürlich ist mir klar, wie Sie dastehen, aber das hätte ich nicht von Ihnen gedacht. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich muß arbeiten.«
Er hätte erst gar nicht mit Lapo reden sollen. Wahrscheinlich hatte das mehr geschadet als genützt.
Der Maresciallo drückte die Stirn gegen die Scheibe, um zwei Personen zu beobachten, die auf dem nassen Pflaster direkt unter ihm stehengeblieben waren und sich unterhielten. Eine große Frau mit zwei Plastiktüten und ein Junge auf einem Mofa. Der Junge ließ den Motor immer wieder laut aufheulen, wollte davonsausen, aber jedesmal hinderte die Frau ihn lautstark daran. Vielleicht weil er keinen Helm trug. Die blauen Abgaswolken waberten in der schmalen Gasse. Der Maresciallo wandte den Blick von dem kleinen Schauspiel da unten auf der Straße nicht ab, war dankbar, sich von diesem unbehaglichen Gefühl ablenken zu können, das ihn in dem Appartement beschlichen hatte, das in seinem Kopf noch immer Clementinas Wohnung war.
Er hatte es sich mit Lapo verdorben, aber was noch viel schlimmer war, er hatte es sich mit dem gesamten Viertel hier verdorben. Er hätte sämtliche Zeugen trennen müssen, dafür sorgen müssen, daß Klatsch und Tratsch nicht schneller die Runde machten als er selbst. Alle hatten ihre Auseinandersetzung im Schatten der Hecke gehört – er hatte leise gesprochen, fast geflüstert, doch Lapo, ein waschechter Florentiner, hatte man bis Pisa hören können – und wie alle anderen war auch Peruzzi neugierig vor die Tür getreten.
Danach war sein ganzes Bemühen reine Zeitverschwendung gewesen. Sie alle hatten nichts gehört, nichts gesehen, nichts zu sagen. Sie zuckten mit den Schultern, schüttelten die Köpfe, schwiegen. Wie daheim in Sizilien, nur, daß sie ihm dabei in die Augen schauten, trotzig, nicht verschlagen, und die wenigen Bemerkungen, die sie fallenließen, konnten es mit Peruzzis gefürchteten Kommentaren durchaus aufnehmen.
Er war der Außenseiter. Aber das Schlimmste war, er empfand wie sie. Selbst wenn Peruzzi gelogen und behauptet hatte, das Mädchen hätte sich die Kleidung selbst gekauft, konnte er dem Schuhmachermeister höchstens eine lächerliche späte Leidenschaft unterstellen, mehr nicht.
Trenne die Zeugen voneinander. Er wollte sie nicht trennen, verdammt noch mal!
Es war ihr Gemeinsinn – und seine Solidarität mit ihnen, auf die er nach all den Jahren zählte. Er wußte nicht, wie er anders hätte vorgehen können, und bisher war er damit auch immer gut gefahren.
Pippos Frau, Maria Pia, öffnete das Fenster gegenüber und beugte sich nach draußen, um zu prüfen, ob die Socken auf der Wäscheleine unterhalb des Fensters schon trocken waren. Sie holte sie von der Leine, verschwand für eine Minute und beugte sich dann wieder hinaus, um eine tropfnasse Bluse aufzuhängen. Nach einem Blick auf die Wäsche der Nachbarn und einen weiteren gen Himmel, zog sie eine Plastiktüte über die Bluse. Der Maresciallo öffnete der feuchten, nach Waschpulver duftenden Luft das Fenster.
»Guten Morgen.«
Kurz darauf stand sie neben ihm in der Wohnung und erzählte ihm alles über Clementina, über Francos lange Krankheit und die unglaublich hohe Miete, die ›unsere kleine‹ Akiko für diese winzige Behausung zahlen mußte. Akiko hätte nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun können, warum nur hatte sie jemand umbringen wollen? Vielleicht brachte diese Wohnung einfach Unglück, aber sie selbst hielt nichts von derlei Aberglauben. Sie hatte Akiko oft beim Metzger getroffen und mit ihr geschwatzt. Die Frauen waren neugierig, wie sie das Fleisch zubereitete, das sie dort kaufte, denn sie erklärte immer ganz genau, wie sie es geschnitten oder durch den Wolf gedreht haben wollte. Einmal hatte Akiko sie nach hier oben in ihre Wohnung eingeladen und ihr etwas davon zum Probieren angeboten. Da hatten mindestens ein Dutzend kleiner Schalen mit ganz unterschiedlichem Inhalt gestanden. Köstlich, einfach köstlich, keine Frage – aber nein, sie selbst hat nie probiert, es nachzukochen. Pippo mochte ausländisches Essen nicht besonders, und außerdem, diese Unmenge Arbeit, das ganze
Weitere Kostenlose Bücher