Eine Japanerin in Florenz
schaute ihm prüfend ins Gesicht und ließ ihm seinen Willen.
»Dann überlaß Lorenzini die laufenden Geschäfte. Du bist nicht in der Lage, dich darum zu kümmern. Und komm heute mittag früh nach Hause. Ich koche dir was Gutes, und dann kannst du die Nachrichten gucken und ein Mittagsschläfchen auf dem Sofa halten.«
Er sagte nichts, sah sie nur bittend an.
»Da liegen noch immer Totòs Jeans, die ich kürzen muß. Ich werde dir also Gesellschaft leisten. Jetzt geh duschen und zieh die Uniform an. Dann fühlst du dich schon wieder mehr wie du selbst.«
In Uniform fühlte er sich tatsächlich ein wenig mehr wie er selbst. Er blieb den ganzen Morgen in seinem Büro und kümmerte sich um jedes Fitzelchen langweiligen, stinknormalen Papierkram, während er darauf wartete, daß Lorenzini nach den ›laufenden‹ Geschäften zu ihm kam. Als er endlich erschien und sich setzte, wollte er Einzelheiten zu Espositos Selbstmord wissen. Er erfuhr sie nicht. Nicht, weil er zu zart besaitet gewesen wäre. Und auch nicht, weil der Kummer zu groß war. Es war eine Frage der Konzentration. Der Maresciallo hatte keine Ahnung, wie er dahin kommen sollte, wo er hinwollte, wußte nur, daß er dorthin kommen mußte und daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Lorenzini mußte ihm helfen.
»Sie meinen, Sie wollen es einfach nicht glauben – selbst jetzt nicht, wo er sich umgebracht hat und obwohl er uns die Geschichte von der kranken Mutter aufgetischt hat und dann verschwunden ist?«
»Was ich glaube und was ich nicht glaube, ist völlig unwichtig.«
»Und wie sieht es mit den Tatsachen in diesem Fall aus? Sind die wichtig?«
»Die Tatsachen … ja. Verstehen Sie, darin sind Sie einfach besser als ich.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich weiß nicht genau, was ich damit sagen will, nur, daß ich jetzt ein zweites Datum habe. Der einundzwanzigste Mai ist der Tag, an dem Peruzzi sie das letzte Mal gesehen hat. Der neunte Mai war der Tag, an dem sie den Termin für die Abtreibung hatte, wenn man ihrem Freund – Toshimitsu – glauben darf.«
»Dürfte nicht so schwer sein, die Krankenhäuser hier in der Umgebung zu überprüfen. Sie werden dazu Unterlagen haben, selbst wenn sie den Termin nicht wahrgenommen hat.«
»Ja. Sie konnte es nicht durchziehen, weil sie ihn liebte. Zwischen dem neunten und dem einundzwanzigsten muß sie sich fürchterlich gequält haben. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich möchte das noch vor der Beerdigung klären. Diese Last ist zu groß für seine Mutter. Den einzigen Sohn zu verlieren, Selbstmord, Mordanklage …«
»Durch seinen Tod hat er den Mord gesühnt.«
»Für sie nicht. Und die Zeitungen werden eins und eins zusammenzählen.«
»Und Sie weigern …«
Hatte er sagen wollen, daß er sich weigere, eins und eins zusammenzuzählen, der Realität ins Auge zu blicken? Das kümmerte den Maresciallo nicht.
»Verstehen Sie? Wir haben keine Zeit mehr.«
»Wenn Sie wollen, daß ich mich um die Überprüfung der Krankenhäuser kümmere, werde ich das selbstverständlich tun.«
»Ja, aber zuerst brauche ich hier noch Ihre Hilfe.«
»Einfach so? Aus dem blauen Dunst heraus?«
»Ja. Ich brauche weitere Fakten, vielleicht auch mehr Daten.« Er mußte Lorenzini weiter bearbeiten, bis er mit dem herausrückte, was er brauchte. Er konnte ihm nicht die richtige Frage stellen, denn er wußte selbst nicht, worauf er hinauswollte, er wußte einfach nur, daß Lorenzini derjenige sein würde, der ihm die richtige Antwort gab. Er starrte ihn an, eindringlich, hartnäckig, mit jenem verärgerten, beinahe schon mitleidvollen Blick, der besagte, daß die Lösung in greifbare Nähe rückte.
»Daten sind natürlich eine handfeste Sache. Ich habe keine Ahnung, wie wir im blauen Dunst einen Verdächtigen finden sollen, aber mit mehr Daten können wir Esposito vielleicht ein Alibi verschaffen, vorausgesetzt, daß all seine Schritte hier festgehalten sind. Wenn die Mutter Ihre einzige Sorge ist, dann würde das ja genügen, oder?«
»Ich weiß nicht.«
»Schon verstanden. Sie wollen Ihren Phantomverdächtigen hinter Gitter bringen.«
Der Maresciallo dachte einen Moment darüber nach, starrte dabei auf die Karte an der gegenüberliegenden Wand und auf die kleine, namenlose Piazza.
»Ja«, sagte er schließlich. Er konnte nicht erklären, wen oder was er so dringend beschützen wollte, nicht einmal sich selbst. »Sie haben recht. Espositos Unschuld zu beweisen wäre schon einmal ein Anfang. Allerdings kann
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