Eine Japanerin in Florenz
gerufen. Ich weiß, ich erzähle alles ganz durcheinander. Aber ich sehe die Dinge jetzt in einem völlig anderen Licht.«
»Sie sind müde. Aber ich verstehe auch, daß Sie sehr durcheinander sind. Wir können die schlimmen Dinge nicht ungeschehen machen, nur ver suchen, sie zu vergessen. Sie mochten Esposito. Ich auch. Ich hatte hohe Erwartungen in ihn gesetzt. Aber zumindest hat er mit seinem Tod das Verbrechen gesühnt. Lassen wir ihn in Frieden, und machen wir weiter.«
»Nein, nein. Seine Mutter sieht das anders, Tod sühnt das Verbrechen nicht. Wir müssen die Unschuldigen schützen, nicht wahr? Ich weiß jetzt, wer sie sind, und ich muß den finden, der nicht unschuldig ist, wer immer es auch ist. Ich will, daß sein Leichnam hergebracht wird, ich brauche Professor Forlis Unterstützung.«
»Ich habe gesagt, daß ich es versuchen werde, aber ich habe keine großen Hoffnungen. Ich sage Ihnen schon die ganze Zeit, daß Sie nach Hause gehen sollen, und Sie rühren sich nicht vom Fleck.«
»Ja. Tut mir leid.« Er wußte, wie er auf den Capitano wirkte. Lorenzini hatte es ihm oft genug gesagt:
»Sie sitzen da, zusammengekauert wie eine Bulldogge auf dem Sprung, die gerade beschlossen hat, ihre Fänge in jemandes Waden zu versenken. Manchmal atmen Sie so langsam und so tief, daß ich wirklich glaube, Sie knurren – und Gott stehe demjenigen bei, auf dessen Waden Sie es abgesehen haben. Können Sie nicht ganz normal wie jeder andere auch einen Haftbefehl beantragen?«
Wie sollte er einen Haftbefehl ganz normal beantragen, wenn er nicht wußte, für wen? Der Capitano war zu höflich und formell, um Kommentare wie Lorenzini abzugeben. »Es tut mir leid, meine einzige Hoffnung war dieser Freund in Rom. Und jetzt …«
»Sie sind sicher, daß sein Alibi in Ordnung ist?«
»Zweifellos. Er war in Japan, sein Bruder hat geheiratet. Er hat mir Digitalaufnahmen gezeigt und seinen Reisepaß. Er sagte, er mache sich Sorgen um Akiko. Sie ist ihn besuchen gekommen, kurz bevor er abgeflogen ist. Sie haben sich hier in Florenz kennengelernt, als sie Kunstgeschichte studierten … sein Vorname ist Toshimitsu … Den Nachnamen habe ich irgendwo aufgeschrieben.«
»Den brauche ich jetzt nicht. Der wird in Ihrem Bericht stehen. Erzählen Sie weiter.«
»Er arbeitet jetzt für einen Restaurateur. Sie waren nur gute Freunde, nicht mehr. Er sagt, daß sie in Kontakt geblieben sind.
Er sagte: ›Dann ist sie schwanger geworden und wußte nicht mehr ein noch aus.
Wahrscheinlich war ich der einzige Mensch, mit dem sie reden konnte, weil ich verstand, was sie hinter sich gelassen hatte.
Sie hat mir erzählt, daß der Osterbesuch in Neapel eine totale Katastrophe gewesen sei. Enzos Familie hat sie einfach überwältigt, ihr die Luft zum Atmen genommen. Sie hatten nie auch nur eine Minute für sich, und alles, was sie unternahmen, ist für sie organisiert worden. Er hatte damit kein Problem, fand das alles ganz normal, und es machte ihm überhaupt nichts aus, gesagt zu bekommen, wohin er gehen, was er anziehen, wen er im Gegenzug einladen und was er essen solle. Er und seine Mutter unterhielten sich sogar darüber, eine Wohnung zu kaufen, und sie wurde in dieses Gespräch überhaupt nicht mit einbezogen. Als sie davon hörte, erhob sie Einspruch. Peruzzi hatte angeboten, mit einer Geldanlage zu helfen. Von einem Fremden Geld anzunehmen statt von der Familie, das war für ihn unvorstellbar, während sie diese Möglichkeit vorgezogen hätte. Sie mußte viel weinen, aber sie konnten nicht einmal streiten, weil sie keine Möglichkeit hatten, sich zurückzuziehen. Für sie war er plötzlich ein ganz anderer Mann als der, in den sie sich verliebt hatte. Sie hatte das Gefühl, ihn überhaupt nicht mehr zu kennen. Auf der Fahrt im Zug zurück nach Florenz haben sie sich gestritten und Schluß gemacht. Aber dann stellte sich heraus, daß sie schwanger war. Das letzte Mal, als sie mich anrief, hatte sie sich für eine Abtreibung entschieden. Sie sagte, ihre Schwester hätte sie unter Druck gesetzt, ihr gesagt, daß sie ihre Freiheit nicht aufgeben und ihr Leben nicht ruinieren dürfe, daß sie den Verstand entscheiden lassen solle. Wozu war sie denn vor ihrer Familie davongelaufen? Akiko fand, daß sie recht hatte. Es war die einzig vernünftige Entscheidung, aber sie war schrecklich traurig. Offenbar hatte die Schwester mit der Mutter gesprochen. Unter keinen Umständen durfte ihr Vater davon erfahren. Die Mutter sagte, sie müsse das
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