Eine Jungfrau Zu Viel
Vorfall verstört aussah.
»Ist jemand ihrer Behauptung nachgegangen?«
»Um Himmels willen, Falco«, blaffte Titus. »Wer sollte das denn glauben? Sie stammt aus einer sehr guten Familie!«
»Ach, dann ist ja alles in Ordnung«, entgegnete ich bissig.
»Wir haben einen Fehler gemacht«, gab er zu.
Das musste ich hinnehmen, denn damit stand er nicht allein. »Gaia hat an dem Tag und, wie ich glaube, auch noch bei einer anderen Gelegenheit länger mit der Vestalin Constantia gesprochen«, teilte ich ihm mit. »Wäre es möglich, dass Sie von offizieller Seite für mich ein Gespräch mit Constantia arrangieren?«
Er schürzte die Lippen. »Man hält es für besser, das nicht zu erlauben, damit kein falscher Eindruck entsteht. Nichts darf darauf hindeuten, dass es eine besondere Verbindung zwischen einem bestimmten Kind und den Vestalinnen gibt. Wir wollen die Lotterie nicht in Frage stellen.«
Damit war die Sache für mich klar. Ich hatte keine Zweifel mehr, die Lotterie war nicht nur in Frage gestellt, sie wurde kaltblütig manipuliert.
»Nach Gaia Laelias mysteriösem Verschwinden hat der Empfang unvorhergesehene und ziemlich unangenehme Konsequenzen«, fuhr Titus fort. Das Essen belebte mich allmählich wieder, aber ich war immer noch so müde, dass ich nicht gleich kapierte. »Die Lästermäuler haben die Sache bereits aufgegriffen.«
Verspätet ging mir ein Licht auf. »Die Königin wird doch wohl nicht mit dem Verschwinden eines Kindes in Verbindung gebracht, das sie nur einmal gesehen hat, und dann auch noch bei einem öffentlichen Empfang?«
Sobald ich das gesagt hatte, erkannte ich das Dilemma. Verleumdung braucht nicht glaubhaft zu sein. Klatsch ist immer viel genüsslicher, wenn es so aussieht, als stimmte er nicht.
Berenike war Judäerin. Man glaubte, dass Titus ihr die Ehe versprochen hatte. Das mochte durchaus der Fall sein, obwohl sein Vater es kaum zulassen würde. Seit Kleopatras Zeiten haben die Römer einen Horror vor exotischen Ausländerinnen, die die Herzen ihrer Generäle stehlen und den Frieden und Wohlstand Roms untergraben.
»Wahnsinn!«, sagte Titus barsch. Vielleicht. Aber die Beschuldigung, Berenike sei eine Kindsmörderin – oder die Entführerin einer angehenden vestalischen Jungfrau –, war genau die Art lächerlichen Gerüchts, dem die Leute gerne Glauben schenkten. »Falco, ich will, dass das Kind gefunden wird.«
Einen Moment lang taten sie mir Leid. Die Frau würde wieder heimreisen müssen – aber aus vernünftigen Gründen, nicht wegen einer Kungelei, die sich politische Gegner ausgedacht hatten. Stattdessen würden die Flavier zeigen müssen, dass sie begriffen, was Rom brauchte, und dass, sollte Titus eines Tages Kaiser werden, er Manns genug war, sich seiner Verantwortung zu stellen.
Um die Atmosphäre aufzulockern, sagte ich freundlich: »Wenn ich Gaia heil und gesund finde und wenn es dann zu spät für die Lotterie ist, habe ich eine Bitte. Könnte jemand anders die Aufgabe übernehmen, dem weinenden Kind zu erklären, warum es doch keine vestalische Jungfrau werden kann?«
Titus entspannte sich und lachte.
Helena, die schweigend an den Leckerbissen geknabbert hatte, während ich sprach, sprang jetzt auf und zog mich hinter sich her. Besucher waren angehalten zu warten, bis sie von den hohen Herrschaften entlassen wurden, aber das war ihr egal. Bevor ich in den mittleren Rang aufgestiegen war, hätte es mich ebenfalls nicht gekümmert – also griff ich mir schamlos noch so ein Hummerklößchen. »Er muss sich ausruhen«, verkündete meine Geliebte.
Titus Cäsar erhob sich, kam zu mir und nahm meine Hand. Er konnte von Glück sagen, dass er nicht die fischige erwischte. »Ich bin Ihnen äußerst dankbar, Falco.« Der einzige Vorteil meines neuen Rangs bestand darin, dass alle Klienten jetzt ausgesprochen höflich zu mir waren. Was nicht bedeutete, dass die Honorare schneller eintreffen würden (wenn überhaupt).
Nachdem er sich von mir verabschiedet hatte, griff Titus nach Helenas Hand. »Ich bin froh, dass Sie heute Abend hier waren.« Er sprach mit leiser Stimme. Helena sah nervös aus, wenn auch längst nicht so nervös wie ich. »Ich möchte, dass Sie Ihrem Bruder etwas auf diskrete Weise erklären.«
»Aelianus?«
»Er hat sich bei den Arvalbrüdern beworben. Bitte lassen Sie ihn wissen, dass sie nichts gegen ihn persönlich haben. Er ist durchaus qualifiziert. Aber es wird noch einige Zeit vergehen, bis Gras über die unglückselige Eskapade
Weitere Kostenlose Bücher