Eine Jungfrau Zu Viel
griff danach; Helena mischte sich ein wie ein Vorkoster, wählte aus den Silberschüsseln und steckte mir mit einer solchen Geschwindigkeit Bissen in den Mund, dass ich kaum zum Kauen kam. Zum Glück hielt meine fest gewickelte Toga mich davon ab, in mich zusammenzusacken. In diese heißen Wollhüllen gepresst, ergab ich mich darein, wie ein Invalide gefüttert zu werden. Es gefiel mir hier. Ein bequemer Palast. Helena übernahm das Reden. Ich hatte genug zu schauen, während ich ihr das Gespräch überließ.
Ich überlegte, wie das häusliche Leben der Kaiserfamilie wohl inzwischen aussah. Der junge Domitian hatte sich eine verheiratete Frau geschnappt, ganz so wie Augustus das mit Livia gemacht hatte, und sich mit ihr als verheiratet erklärt; das allerdings erst, nachdem er jede Senatorenfrau verführt hatte, die er kriegen konnte – bevor sein Vater nach Hause gekommen war und ihm die Flügel gestutzt hatte. Titus (einmal geschieden, einmal verwitwet) hatte sich jetzt – vielleicht unerwartet – mit dieser exotischen königlichen Dame zusammengetan. Vespasian hatte bis vor kurzem offen mit Antonia Caenis, einer äußerst scharfsinnigen Freigelassenen und meiner verstorbenen Patronin, zusammengelebt (war es Zufall, dass Berenike ihre Ankunft in Rom bis nach dem Tod von Vespasians vernünftiger, einflussreicher Geliebten verschoben hatte?). Es gab noch zwei sehr junge weibliche Verwandte – Titus Tochter Julia und eine Flavia. Vespasian hatte sich aus dem Palast zurückgezogen und lebte jetzt in den Gärten des Sallust, nicht weit von dem alten Haus seiner Familie entfernt. Aber selbst ohne den alten Mann musste das gemeinsame Frühstück hier eine spannende Angelegenheit sein.
»Ich nehme an, Ihr Vater hat überlegt, ob er die Vestalinnen-Lotterie durchführen soll?«, fragte Helena, an Titus gewandt.
»Na ja, uns wird für morgen keine andere Wahl bleiben. Es gibt zwanzig ausgezeichnete Kandidatinnen …«
»Neunzehn«, murmelte ich mit vollem Mund.
»Gaia Laelia kann immer noch heil und gesund gefunden werden!«, wies mich Titus zurecht.
»Ein anderes kleines Mädchen musste ihre Teilnahme zurückziehen«, teilte ihm Helena ruhig mit. »Ihr Vater ist gestorben.« Titus richtete sich auf, als er merkte, dass sie mehr darüber wusste als er. »Wenn die Lotterie stattfindet«, erklärte Helena der Königin, »müssen alle Kandidatinnen anwesend sein. Es ist wichtig, dass der Pontifex Maximus, nachdem er einen Namen verlesen hat, mit dem Ritual fortfahren kann. Er muss das Mädchen bei der Hand nehmen, mit der uralten Proklamation willkommen heißen und es sofort von seiner Familie ins Haus der Vestalinnen überführen.«
Die Königin hörte zu, ohne sich zu äußern, beobachtete uns aber aus dunklen, stark geschminkten Augen. Was sie wohl von uns hielt? Hatte Titus ihr erzählt, nach wem er geschickt hatte? Wenn ja, wie hatte er uns beschrieben? Hatte sie einen Mann von niederer Geburt mit erschöpften Gliedern und Bartstoppeln am Kinn erwartet, herumkommandiert von einem kühlen Wesen, das mit dem Kaisersohn sprach, als wäre er ihr Bruder?
Helena bezog die Königin auch weiterhin ein. »Wir reden hier über eine symbolische Zeremonie, bei der das ausgewählte Mädchen der väterlichen Gewalt entzogen wird, auf alle Besitztümer als Teil seiner Familie verzichtet und ein Kind der Vesta wird. Ihr Haar wird abgeschoren und an einen heiligen Baum gehängt; hinterher darf sie es natürlich wieder wachsen lassen. Sie wird in das formelle Gewand einer vestalischen Jungfrau gekleidet und beginnt noch am selben Tag mit ihrer Ausbildung. Wenn das ausgewählte Kind bei der Nennung seines Namens nicht anwesend ist, wäre das sehr peinlich.«
»Unmöglich«, sagte Titus.
Ich kaute nachdenklich auf einem Hummerklößchen. Tz, tz, der Koch hatte ein Stück Schale dringelassen. Ich entfernte es mit schmerzlichem Gesichtsausdruck, als hätte ich hier etwas Besseres erwartet.
»Ich dachte, Rutilius Gallicus sei Ihr Bevollmächtigter bei der Suche nach Gaia Laelia?«, fragte Helena, wieder an Titus gewandt. Vielleicht wollte sie ihn für seine Einmischung tadeln. Ich fing den Blick des jungen Cäsars auf und lächelte schwach. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er mich auf Trab gehalten hatte, wenn er mich zu sich zitierte. Tja, jetzt hatte ich einen anderen Status und konnte meine talentierte, wohlerzogene Freundin mitbringen, die mich wie ein Gladiatorentrainer verteidigte.
Sie hatte einen Diener mit einem Weinkrug
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