Eine Jungfrau Zu Viel
Gesicht.
Anacrites verließ uns, als wir den Aventin erreichten. Zum einen wollte er sich sicher bei Mama einschmeicheln und ihr vorgaukeln, die Rettung ihres Goldjungen sei ganz allein seine Idee gewesen. Das konnte ich korrigieren. Nicht dass meine Mutter auf mich hören würde, wenn sie sich entschlossen hatte, lieber Anacrites zu glauben.
Außerdem hatte er noch einen anderen Plan. »Während du ins Haus der Laelii zurückkehrst, Falco, trabe ich mal zu den Vestalinnen und schaue, ob man was Vernünftiges aus Terentia Paulla rausbekommt.«
»Die Jungfrauen werden dich nicht einlassen.«
»Doch, das werden sie«, erwiderte er hämisch. »Ich bin der Oberspion!«
Ich nahm Aelianus mit, aber als wir zur Brunnenpromenade kamen, bat ich ihn, sich beim Stand von Cassius, dem Bäcker, in die Schlange zu stellen und ein paar Frühstücksbrötchen zu kaufen. Ich wollte vor ihm nach oben gehen und Helena allein begrüßen. Dafür hatte er Verständnis.
Helena musste die ganze Nacht aufgeblieben sein. Sie saß auf ihrem Korbstuhl neben der Wiege und hielt Julia im Arm, als hätte sie die Kleine gerade gefüttert. Beide schliefen tief.
Ganz sanft nahm ich ihr das Kind aus dem Arm. Julia wachte auf, überlegte, ob sie glucksen oder schreien sollte, und rief dann zu meiner Begrüßung laut: »Hund!«
»Olympus, ihr erstes Wort! Sie glaubt, ich sei Nux.«
Erschrocken über den Ruf, fuhr Helena hoch. »Sie kennt den Hund. Ihr Vater ist ein Fremder. Aber ich bin trotzdem enttäuscht. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, ihr beizubringen, ›aristotelische Philosophie‹ zu sagen … Wo bist du gewesen, Marcus?«
»Lange Geschichte. Beginnt im Haus der Vestalinnen und endet in der Todeszelle des Mamertinischen Gefängnisses.«
»Ach, dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen.«
Ich setzte Julia in ihre Wiege. Helena war aufgestanden und nahm mich erleichtert in die Arme. Ich klammerte mich an sie, als wäre sie der einzige Balken in einem riesigen Ozean und ich ein Ertrinkender.
»Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen!«
»Das dachte ich auch, Schatz.«
Nach langer Zeit beugte sie sich schnüffelnd zurück. Im ersten Moment glaubte ich, sie würde weinen, aber es war pure Detektivarbeit.
»Entschuldige. Ich muss nach Gefängnis stinken.«
»Das tust du«, sagte sie mit dieser besonderen Stimme. »Und noch nach etwas anderem. Ich weiß, dass du gerne viel versprechende Salben ausprobierst, mein Liebling, aber seit wann tupfst du dir Irisöl hinter die Ohren?«
Ich muss wohl immer noch ziemlich müde gewesen sein. »Das wird das Parfum sein, das die Jungfrau Constantia in ihrer Freizeit trägt, fürchte ich.«
»Wirklich?«
»Süßlich, aber anhänglich. Übersteht sogar eine Nacht im dreckigsten Gefängnis. Sei nicht verärgert. Ich bin kein Schürzenjäger.«
»Das brauchst du auch nicht zu sein. Ich nehme an, sie jagen dich! Und kriegen dich auch, wie ich rieche.«
Wie gut, dass in dem Augenblick Helenas Bruder kam und mich aus dieser unangenehmen Situation erlöste. Er schien zu wissen, was gewünscht war. Als Assistent machte sich Camillus Aelianus außerordentlich gut.
Ich wusch mich. Wir frühstückten. Ich küsste Helena zum Abschied; sie wandte den Kopf ab, ließ mich aber fast in ihre Nähe. Nux, die keine Bedenken wegen meiner Treue hatte, sprang bellend an mir hoch und hatte hoffnungsvoll den Strick angeschleppt, den ich manchmal als Hundeleine benutzte. Ich ging auf ihr Flehen ein, um Helena zu zeigen, dass ich auf Liebe reagierte.
Als wir die Treppe zur Straße hinunterstiegen, sah ich Maia kommen. Sie war in schlichtes Weiß gekleidet, die Locken sittsam gebändigt. Cloelia ging neben ihr, ebenfalls wie eine religiöse Opfergabe zurechtgemacht.
»Marcus! Wir sind auf dem Weg, uns die Lotterie anzusehen. Wir dachten, wir sollten uns diesen Quatsch nicht entgehen lassen. Vielleicht gibt’s da leckere Erfrischungen, meinst du nicht, Cloelia?«
»Hast du Gaia gefunden?«, fragte Cloelia und runzelte die Stirn über die Frivolitäten ihrer Mutter.
»Noch nicht. Ich will gerade weitersuchen.«
»Cloelia möchte dir etwas sagen«, meinte Maia, jetzt ernster.
»Was denn, Cloelia?«
»Onkel Marcus, ist Gaia was Schlimmes passiert?«
»Ich hoffe nicht. Aber ich mache mir große Sorgen. Weißt du etwas, das mir weiterhelfen könnte?«
»Sie hat gesagt, ich dürfe es niemandem erzählen, aber jetzt muss ich es wohl doch tun. Gaia glaubt, ihre Tante ist verrückt. Die Tante hat
Weitere Kostenlose Bücher