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Eine Katze hinter den Kulissen

Titel: Eine Katze hinter den Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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Ballettleute
boten ein regelrechtes Schauspiel. Sie glitten geräuschlos und in
königlicher Haltung die Gänge auf und ab, als ob sie
Spaziergänger aus einem vergangenen Jahrhundert wären. Jung
und alt, berühmt, erfolglos oder einfach unbekannt, sie bewegten
sich alle auf dieselbe gekünstelte Weise, die in ihrer Theatralik
schon fast absurd wirkte.
    Lucia beugte sich verschwörerisch zu mir
hinüber. »Da ist Louis Beasley«, flüsterte sie
und deutete mit einem Kopfnicken auf einen korpulenten Mann, der sich
gerade einige Reihen vor uns setzte. »Und der da neben ihm, das
ist Vol.«
    Beasley, der Impresario, der Dobrynin
»entdeckt« hatte, sah aus wie ein wohlgenährter
Küchenkater. Er trug einen langen Biberpelz. Sein jüngerer
Liebhaber, Vol Teak, glich mehr einer wilden Siamkatze. Die beiden
waren in die Kirche gekommen und den Gang hinuntergeschritten, als ob
sie auf den Balkon ihres Hotelzimmers in Venedig treten würden, um
ein Sonnenbad zu nehmen.
    »Schau mal«, flüsterte Lucia aufgeregt, »da ist Melissa!«
    Ich verdrehte mir den Kopf, um zu sehen, wie die
ehemalige Ballerina Melissa Taniment neben ihrem Gatten Platz nahm. Sie
war immer noch sehr anmutig und beeindruckend, besonders wegen ihrer
hypnotisierenden, haselnußbraunen Augen. Dobrynin war mit einem
Schlag ein Star geworden, als Melissa sich ihn als Partner in Giselle ausgewählt
hatte. In der Folge hatten sie eine stürmische Liebesaffäre
gehabt, die die Klatschspalten der Revolverblätter lange
gefüllt hatte.
    Dann zeigte mir Lucia noch Betty Ann Ellenville, die
Ballettkritikerin, deren Artikel nicht unerheblich zu Dobrynins Ruhm
beigetragen hatten; Maggie Brown, eine von Dobrynins Lehrerinnen; Dr.
James Broga, seinen Arzt, ein Spezialist für Sportverletzungen,
und noch ein halbes Dutzend anderer Berühmtheiten. Lucia war eine
gute Führerin durch die Welt des Balletts, doch dann wurde ihr
Vortrag durch den ersten Trauerchoral der Geistlichen unterbrochen.
    Als der Gottesdienst zu Ende war, schritt Louis
Beasley entschlossen auf die Kanzel, um die Totenrede zu halten. Seine
Stimme klang herrisch, obwohl er bewegt war.
    »Das hier«, er deutete auf den schlichten
Sarg, »das hier ist das Schicksal, das alle jungen Götter
erwartet. Wahnsinn und Tod. Tod und Wahnsinn. Nijinsky ist wahnsinnig
geworden. Und Dobrynin schließlich auch.« Beasley machte
eine Pause. »Peter Dobrynin war das, was jeder Tänzer gerne
sein möchte. Arglos. Ehrlich. Reinheit der Form. Reinheit der
Seele.
    Aber es ist, wie schon La Rochefoucauld gesagt hat:
›Die Sonne und den Tod kann man nicht lange betrachten.‹
Und deshalb werden wir, wenn wir uns an Dobrynin erinnern, nicht an
seinen schrecklichen Tod und daran, daß wir einen faszinierenden
Menschen verloren haben, denken. Nein, wir werden an den tanzenden
Dobrynin denken.«
    Beasley griff nach den Fransen seinen langen roten Kaschmirschals. Er ging ein paar Schritte auf und ab.
    Jetzt war aus den Reihen zum ersten Mal ein
Schluchzen zu vernehmen. Ich wollte mich umdrehen, um zu sehen, wer da
weinte, aber das schien mir völlig unangebracht zu sein, also
schaute ich weiter auf Beasley.
    »Was fällt mir ein, wenn ich an Peter
Dobrynin denke? Ich will es Ihnen sagen.« Er machte eine Pause
und schluckte hörbar. »Ich denke an den Anfang der Coda des
Pas de deux des Schwarzen Schwans aus Schwanensee. Ich denke an Peter als Siegfried, an seine Folge unvergleichlicher Jetés. Ich denke an seinen Tanz, der von Schönheit, Kraft und Weisheit
erfüllt war, die nur er auszudrücken verstand. «
    Jetzt liefen Tränen die Wangen des Impresarios
hinunter und drohten seine Stimme zu ersticken. Seine letzten Worte
waren undeutlich. Ich glaube, er sagte etwas ziemlich Abgedroschenes,
wie: »Auf Wiedersehen, geliebter Dobrynin. Ruhe in Frieden.«
    Lucia wirkte bekümmert. »Ich habe ihn nie
den Pas de deux des Schwarzen Schwans tanzen sehen«, vertraute
sie mir flüsternd an, und ihre Stimme klang schrecklich traurig.
    »Schau dir Melissa an«, drängte mich
Lucia. »Schau dir ihr Gesicht an!« Ich drehte mich um, um
nach der wunderschönen Ballerina zu sehen, die sich vor fünf
Jahren von der Bühne verabschiedet hatte. Was ich sah, verwunderte
mich. Ihr hübsches Gesicht wirkte wie tot - es war völlig
starr und ausdruckslos. Sie schien wie in Trance oder als ob sie einer
Musik lauschen würde, die sonst niemand hören konnte.
    Ich spürte, wie Lucia neben mir zitterte und offenbar befürchtete, daß sie wieder

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