Eine Katze hinter den Kulissen
Sie mir sagen
wollen. Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?«
»Tun Sie gar nichts, Miss Nestleton«, antwortete er.
»Gar nichts?«
»Ja, Miss Nestleton, gar nichts. Ich werde zum
Staatsanwalt gehen und ihn davon in Kenntnis setzen, daß Basil
genötigt wurde, dieses Geständnis abzulegen. Dann wird man
die Mordanklage gegen Vol Teak fallenlassen, aber natürlich nicht
das Verfahren wegen des Geldes, das er von den Ballettdirektoren
erpreßt hat.«
»Und was dann, Mr. Brodsky?«
»Nichts. Dann wird es eben einer von den
tausend ungelösten Fällen. Und was Lucia Maury betrifft, so
werde ich dafür sorgen, daß sie in eine psychiatrische
Klinik kommt, zu Hause in Delaware.«
Ich drehte mich um und ging weiter hinunter. Als wir
an der Haustür waren, hörte ich Brodsky flehentlich rufen:
»Denken Sie darüber nach! Denken Sie in Ruhe über alles
nach! Denken Sie an Lucia! «
Langsam gingen wir die menschenleere Straße
entlang und stemmten uns gegen den kalten Wind. »Was wirst du
tun?« fragte Tony und drückte fest meinen Arm.
»Ich weiß es nicht, aber ich möchte eine Weile allein sein.«
26
Es hörte nicht auf zu klingeln. Wer immer das
auch war, er hörte einfach nicht auf. Ich ging ins Schlafzimmer,
schloß die Tür und vergrub meinen Kopf unter einem Kissen.
Aber ich konnte es immer noch hören. Schließlich gab ich auf
und öffnete dem Eindringling.
Natürlich war es Tony. »Was zum Teufel ist
los mit dir, Schwedenmädel? Ich rufe dich seit zwei Tagen
ununterbrochen an! Warum gehst du nicht ans Telefon oder rufst
wenigstens zurück?«
»Ich hab nichts zu sagen.«
Er kam herein und fing an, in der Wohnung
herumzulaufen. Pancho starrte ihn an. Bushy nahm keine Notiz von ihm.
Ich machte ihm eine Tasse Instantkaffee.
»Und, hast du dich entschieden?« fragte er.
»Wofür?«
»Ob du im Frühling nach Paris fahren willst. Du weißt ganz genau, was ich meine!«
»Ich habe nichts unternommen«, gab ich zu.
»Ich kann mir vorstellen, daß du mit
dieser Entscheidung, wie sagt man so schön, eine ziemlich harte
Nuß zu knacken hast«, bemerkte er, stürzte den Rest
seines Kaffees hinunter, nahm Bushy auf den Arm und tat so, als wolle
er ihn zum Fenster hinauswerfen.
Dann setzte er Bushy liebevoll auf dem Sofa ab und
sagte zu meiner armen, wunderschönen Katze: »Du würdest
keine drei Minuten als Streuner überleben, Bushy. Du bist eine
dekadente Katze.«
Es ist schon komisch, daß ein alberner kleiner
Ausdruck eine größere Wirkung auf einen Zuhörer haben
kann als ein vernünftiger Vortrag. Worte, die man zu einer Katze
sagt, ganz besonders. Bevor Tony zu Bushy sagte, daß er als
Streuner keine drei Minuten überleben würde, war ich
achtundvierzig Stunden lang in einem ganz üblen Zustand gewesen.
Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich konnte nicht
entscheiden, wem gegenüber ich die größere
Verantwortung hatte. Sollte ich die Polizei anrufen? Die Polizei
vergessen? Lucia die Konsequenzen ihres Handelns ersparen? Ich hatte
stundenlang über den Fakten dieses Falls gebrütet. Hatte ich
sie richtig interpretiert? War irgendein Teil meiner Analyse eher
Phantasie denn Realität? Hatte ich den falschen Täter mit dem
falschen Köder gefangen? Gab es ein anderes vorstellbares Motiv
dafür, daß Lucia den Scheck ausgestellt und Madeline damit
losgeschickt hatte?
Ich sah kein Licht am Ende des Tunnels und kam zu
keinem Ergebnis. Ich konnte die Rolle beziehungsweise das Skript nicht
beenden.
Und dann hatte Tony diesen albernen Satz gesagt, und
als er das Wort »Streuner« aussprach, hatte mich das an all
diese armen herrenlosen Katzen im Riverside Park erinnert, die seit
Dobrynins Tod kein leckeres russisches Futter - wahrscheinlich
überhaupt kein Futter - bekommen hatten.
Und da beschloß ich, sie zu füttern. Oh,
ich weiß, das war dämlich. Es war ganz klar eine
Übersprungshandlung, die mich von ernsteren Aufgaben abhalten
sollte, eine gute Entschuldigung, mich nicht mit dem echten Problem zu
beschäftigen - aber ich wollte es unbedingt tun. Ich mußte es plötzlich tun. Ich war einfach dazu verpflichtet.
Ich streifte einen Pullover über, zog meinen
Mantel an und band einen Schal um. Tony hatte seinen Wintermantel noch
nicht ausgezogen, also schleifte ich ihn einfach mit.
»Was ist denn jetzt los, Alice? Was passiert hier eigentlich?«
»Wir gehen ein paar Katzen füttern, Tony.«
»Was für Katzen?«
»Die Katzen, die Dobrynin immer gefüttert
hat. Die Katzen im Riverside Park,
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