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Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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– und sie schwang knarrend nach innen. Das Schloß steckte zwar noch in der Tür, war aber vollkommen verrostet. Ich fluchte leise, daß ich nicht schon beim ersten Mal versucht hatte, die Tür zu öffnen.
    M. Lukas wohnte im dritten Stock. Langsam stieg ich die Treppe hinauf und überlegte, was ich sagen sollte, damit M. Lukas mich in die Wohnung ließ, falls es sich um Ginger handelte.
    Ein untersetzter Mann, der die Treppe hinunterkam, grüßte mich freundlich. Dann kam eine Frau an mir vorbei. Sie sagte kein Wort. Die Wände und Decken im Treppenhaus waren schmutzig und voller Wasserflecken; Farbe und Putz blätterten ab, und die Treppenstufen knarrten beängstigend.
    Als ich ins dritte Stockwerk gelangte, sah ich als erstes eine Tür mit der Aufschrift ›3 E‹. Wohnte hier M. Lukas? Die Tür war angelehnt. Als ich den Treppenabsatz erreichte und durch den Spalt einen Blick in die offenbar verlassene Wohnung warf, hatte ich das gespenstische Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben. Ja, genauso war es gewesen, als Jo und ich Gingers Wohnung in Oyster Bay Village entdeckt hatten. Die Tür angelehnt. Ginger verschwunden. Ob dieses Haus einen Hinterausgang hat? fragte ich mich und verfluchte mich selbst.
    Ich blieb im Türeingang stehen. »Ginger?« rief ich leise durch den Spalt. »Ginger Mauch?« Der Klang meiner eigenen Stimme kam mir fremd vor, als hätte jemand anders gerufen.
    Keine Antwort.
    Ich stieß die Tür auf und betrat die Wohnung. »Ginger«, rief ich noch einmal mit leiserer Stimme.
    Die Wohnung war ein Studio. Es war vollkommen verwüstet. Kleidungsstücke und Bücher und Papiere lagen auf dem Boden verstreut; mehrere Gegenstände waren zerschmettert, und die winzige Küche war nur noch ein Trümmerfeld. Die ganze Wohnung roch nach irgend etwas Widerlichem, das ich nicht identifizieren konnte.
    Dann sah ich, daß die Tür zum Badezimmer angelehnt war.
    Mit schnellen Schritten ging ich dorthin. Unter meinen Schuhsohlen knirschten Glas- und Holzsplitter. Mit dem Fuß stieß ich die Tür auf.
    Und sank auf die Knie. In der rostigen Badewanne saß Ginger Mauch. Ich konnte den roten Ansatz ihrer braun gefärbten Haare sehen. Ihr nackter Körper war blutüberströmt, und die gräßliche Wunde an ihrer durchgeschnittenen Kehle war eine gezackte weiße Straße.
    Ich blieb auf dem Fußboden knien, halb im Innern des Badezimmers, halb draußen. Ich wußte, was ich tun mußte. Aufstehen. Zum Telefon gehen. Die Polizei anrufen. Doch ich war wie gelähmt.
    Ich weinte um Ginger. Nicht, weil sie tot war; in diesem Zimmer kam der Tod mir irrelevant vor. Ich weinte, weil sie gelitten hatte. Weil sie Schmerzen hatte ertragen müssen. Weil irgendein brutaler Killer ihr die Kehle durchgeschnitten hatte. Ich konnte Ginger plötzlich so vor mir sehen, wie ich sie am Weihnachtstag gesehen hatte, auf der Farm der Starobins: Im kalten, klaren Licht des Morgens hatte sie vor dem Stall das alte Kutschpferd gestriegelt.
    Ich hörte zu schluchzen auf. Auf allen vieren kroch ich aus dem Badezimmer, kam schwankend auf die Beine und fand mich inmitten von Gingers zerschmetterten, zerwühlten Habseligkeiten wieder. Wonach hatte ihr Mörder gesucht?
    Ein ganzer Packen Bücher war von einem Regal gerissen worden und lag wie eine verrückte Pyramide auf dem Fußboden. Eines der Bücher fiel mir auf. Ich kannte es. Es war ein Exemplar jenes Buches, das ich in der Bibliothek aufgestöbert hatte und in dem ich auf das Foto von Cup of Tea und Ginger gestoßen war. Bei dem Gedanken überlief mich eine Gänsehaut. Entsetzt ließ ich den Blick durchs Zimmer schweifen. Nicht aus Angst, daß Gingers Mörder noch hier sein könnte – ich hatte Furcht, die Calico-Katze zu entdecken, die ich auf dem Foto gesehen hatte. Doch es war nichts zu sehen, nichts zu hören. Arme Ginger. Das Buch war vermutlich eine kostbare Erinnerung für sie gewesen.
    Ich streckte den Arm aus und zog es zu mir heran. Dabei fiel ein Stück Pappkarton von der Größe einer Buchseite heraus. Es war am Rand mit Klebeband verstärkt und beidseitig beschriftet. Ich sah, daß es sich um eine Art Liste oder Inventarverzeichnis handelte, in einem seltsamen Code aus Zahlen und Buchstaben verfaßt, die mit roten und schwarzen Filzstiften geschrieben waren; zum Teil waren sie verschmiert und nur schwer zu entziffern.
    Doch eines erkannte ich sofort. Diese Liste, oder was immer es sein mochte, stammte von Harry Starobin. Seine Handschrift hatte sich mir unauslöschlich

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