Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
Vom Netzwerk:
offen aussprach –, daß Ginger vielleicht unter einem anderen Namen für den Reitstall arbeitete. Es war zu dunkel hinter dem Schreibtisch des Mannes, als daß er das Foto deutlich hätte sehen können. Wütend schnappte er sich das Bild, stand auf und schlurfte zur Tür. Ich folgte ihm.
    Er starrte auf das Foto; dann reichte er es mir zurück. »Nein«, sagte er. »Diese Frau habe ich noch nie gesehen, und ich arbeite seit gut neun Jahren hier.«
    Als ich den Reitstall verließ, war ich so bitter enttäuscht, daß meine Unterlippe wie bei einem Kind zu zittern begann. Ich war so sicher gewesen, Ginger anzutreffen!
    Ich schlenderte zum Broadway, ging in ein Cafe und ließ mich auf eine Sitzbank in einer Nische fallen. Ich bestellte eine Tasse Tee und einen Kokos-Vanille-Kuchen.
    Alles, was mit dem Mord an Harry Starobin zusammenhing, rückte in weite Ferne… das alles schien vor fünfzig Jahren passiert zu sein. Ich wollte die Geschichte noch weiter von mir wegstoßen… wollte sie endlich loswerden… wollte ans Meer fahren… in die Berge… irgendwohin. Ich wollte raus aus diesem Labyrinth, das mich bisher nur von einem Rätsel zum nächsten geführt hatte.
    »Arme Alice«, verspottete ich mich selbst. »Du bist zu alt, um dich noch richtig in eine Rolle hineinversetzen zu können.«
    Langsam und bedächtig aß ich den Kuchen, entschlossen, mir ein bißchen Energie zu verschaffen. Ich trank den Tee und verließ das Cafe, als der mittägliche Gästeansturm einsetzte. Ich überlegte kurz, ob ich mir ein Taxi nehmen sollte, beschloß dann aber, zu Fuß zu gehen.
    Ich schlenderte zurück in den Central Park und ging in Richtung Innenstadt. Es war ein herrlicher Frühlingstag, den viele Leute zum Spazierengehen, Joggen oder Radfahren nutzten. Selbst die Pennbrüder, die in Gruppen unter den Bäumen kauerten, machten einen weniger verzweifelten, weniger aggressiven Eindruck als üblich.
    Als ich zur Tavern on the Green gelangte, blieb ich stehen und schaute angespannt und voller Unbehagen zum Eingang. Jahre zuvor war ich mit meinem Exmann mal zum Brunch in diesem Restaurant gewesen, an einem Sonntagvormittag. Unsere Ehe hatte sich bereits im letzten Stadium der Auflösung befunden, und der Brunch war eine unerquickliche Angelegenheit geworden. Unser Gespräch war voller Bitterkeit gewesen und hatte sich um die absurdesten Dinge gedreht, nur nicht um unsere Ehe.
     
    Er: Ich hatte meinen Kaffee schwarz bestellt, und was bekomme ich? Muckefuck.
    Ich: Ruf den Ober.
    Er: Ruf du den Ober. Der Kerl lächelt dich an wie ein Schmalzkanten.
    Ich: Bist du eifersüchtig?
    Er: Von mir aus kann der Kerl dich vernaschen. Hauptsache, ich kriege meinen Kaffee schwarz.
     
    Ich fragte mich, warum ich so oft an diesen verrückten Dialog denken mußte – Wort für Wort, Nuance für Nuance.
    Am Columbus Circle verließ ich den Park und wandte mich nach Osten, Richtung Central Park Süd.
    Ich sah die lange Reihe der Pferdedroschken, die an ihren gewohnten Plätzen standen und auf Touristen warteten. Die Fahrer saßen in ihren Phantasiekostümen auf den Kutschböcken und boten den Passanten lautstark ihre Dienste an.
    Ich hielt mich von den Droschken fern. Vorerst hatte ich genug von Pferden.
    Das Plaza-Hotel kam in Sicht. Dort hatte ich in der Oyster-Bar mit Anthony Basillio die Muscheln gegessen. Tony hatte sich als guter Freund erwiesen.
    Als ich vor einer Fußgängerampel stehenblieb, hörte ich neben mir plötzlich wildes Gebell. Eine Frau hielt einen Dalmatiner, der wie verrückt an der Leine zerrte und ein großes weißes Kutschpferd anbellte, das vor eine Droschke gespannt war, die am Bordstein stand. Das Pferd hatte sein Maul in einem Futterbeutel vergraben.
    Die Frau, die den Hund hielt, rief der Kutscherin Beschimpfungen zu. Diese lächelte nur und nickte hämisch. Das Pferd ließ sich von dem Spektakel nicht im geringsten beeindrucken.
    Als die Fußgängerampel auf Grün umsprang, rührte ich mich nicht vom Fleck.
    Denn das Herz schlug mir plötzlich bis zum Hals. Meine Hand krampfte sich um den Trageriemen meiner Schultertasche. Mir wurden die Knie weich.
    Die Stadt wurde totenstill, eingefroren in Zeit und Raum.
    Die Kutscherin der Droschke mit dem großen weißen Pferd war Ginger Mauch.

17
    Die Zeiger der Uhr am dünnen Handgelenk des Kellners standen auf halb drei nachmittags. Es schien eine sehr alte Uhr zu sein. Vielleicht hatte sie mal seinem Großvater gehört. Vielleicht war er arbeitsloser Schauspieler, der von

Weitere Kostenlose Bücher