Eine Kerze für Sarah - und andere Geschichten, die das Herz berühren
den Wagen vorsichtig die Wege entlang, durch Kurven und Biegungen. Vor der Kurve bremsen. Vorsichtig. In der Kurve beschleunigen. Langsam, glatt. Stopp. Zurück. Parken zwischen den Linien. Versuch es noch mal. Fang noch einmal an.
Danach setzten wir uns in einen Schnellimbiss, um uns vom Üben zu erholen. Nachdem wir gegessen hatten, wollte Tim noch einmal durch die Kurven fahren. Damals fragte ich mich, ob ich es wohl je erleben würde, dass er tatsächlich das Fahren lernte.
Ich erlebte es. Tim lernte das Fahren. Und er war ein guter Fahrer. Aber Jahre später wurde sein Wagen von jemandem zerquetscht, der kein guter Fahrer war. Jetzt liegt Tims Grab dort, wo wir das Autofahren geübt haben.
Ich könnte verbittert darüber sein. Oder ich kann mich dagegen wehren. Wenn das Gestern bittersüße Erinnerungen zurückbringt, kann ich wüten und einem anderen die Schuld für meine Verluste geben oder ich kann mich durch meine Erinnerungen trösten lassen und einen anderen ermutigen.
Als ich neulich an Tims Grab stand und an die vielen Male dachte, die wir diese gewundenen Wege gefahren waren, fiel mir ein, wie ich mich damals gefühlt habe: Nervös und angespannt, aber bemüht, es mir nicht anmerken zu lassen. Meine Träumerei an Tims Grabstein wurde gestört, als ein kleiner roter Nissan um die Kurve bog. Darin saß eine etwa fünfunddreißigjährige Mutter mit im Wind wehenden Haaren. Neben ihr auf dem Fahrersitz ein Junge, etwa fünfzehn Jahre alt. Ein sehr netter Junge. Die Mutter wirkte sehr angespannt, während sich der Junge betont lässig gab.
Ich wollte rufen: „Genieße die Fahrt! Jetzt! Lass sie zu einer Erinnerung werden. Holt euch einen Hamburger, um zu feiern. Tut es jetzt, während ihr euch noch in die Augen sehen könnt!“
Ja, es tut weh. Ich wünschte, Tim wäre hier, würde mich zu einigen der Orte fahren, zu denen ich gelegentlich muss, nur um der alten Zeiten willen. Ich sehne mich nach dem Familienkreis – ungebrochen – so wie es im Himmel sein wird. Ich möchte das Lachen meines Jungen noch einmal hören und wie er ins Haus gestürmt kam und rief: „Mama!“ Ich beneide diese Mutter in dem kleinen roten Nissan, aber ich weiß, die Jahre enden damit, dass man von allen etwas stiehlt. Und ich möchte nichts anderes, als der Frau sagen, sie solle den Augenblick genießen. Lebe in der Gegenwart. Tu alles, was dir vor die Füße gelegt wird.
In dieser Woche werde ich meinen eigenen Rat befolgen. Ich werde den Menschen in die Augen sehen und wenn sie kein Lächeln haben, werde ich ihnen eines von meinen geben. Ich werde eine Verabredung mit meinem Mann treffen oder einem Freund einen Streich spielen. Ich werde die Zeit nicht mehr vergehen lassen, ohne mich selbst daran zu erinnern: „Genieße die Fahrt!“
Barbara Johnson
Das Nest
Unsere Haustür ist im Laufe der Jahre sehr häufig geöffnet und geschlossen worden, aber dann kam ein Sommer, in dem sie zum Schweigen gebracht wurde – es war der Sommer, in dem das letzte unserer drei Kinder mit dem Studium begann. Christine, John und Jeff waren die Freude meines Lebens gewesen und es hat mir Spaß gemacht, sie großzuziehen. Allein der Gedanke daran, dass sie das Haus verlassen würden, gab mir ein Gefühl der Einsamkeit.
Eines Tages entdeckte ich eine Vogelmutter, die über unserer Haustür fieberhaft ein Nest baute. Zweige und Schmutz lagen darunter auf dem Boden verstreut. Ein Paar besorgt blickender Augen spähten über den Rand auf mich herab.
Von dieser Zeit an war die Haustür verbotenes Terrain. Während des gesamten Sommers, in dem zwei Kinder von der Uni zu Hause waren und ein anderes sich auf einen neuen Lebensabschnitt vorbereitete, wurde nur die Küchentür benutzt. Schon bald herrschte hektisches Treiben in dem Nest, nachdem drei kleine Vögel angekommen waren. Wir konnten von der Küche aus beobachten, wie die Vogelmutter ihre Babys fütterte, das Nest säuberte und ihnen schließlich das Fliegen beibrachte. Und eines Tages waren sie fort.
Ich dachte über die Vogelmutter nach und wie ihre Pflege endete, nachdem die Jungen ausgeflogen waren. Ich identifizierte mich mit ihr und mit dem gesamten Prozess. Darum holte ich vorsichtig das verlassene Nest herunter und legte es auf ein Regal in der Garage. Während ich beobachtete, wie Chris, John und jetzt auch Jeff ihre Sachen packten, um ihr Heim zu verlassen, weinte ich, weil ich erkannte, dass das Unausweichliche gekommen war; ich hatte meine Familie großgezogen und es war
Weitere Kostenlose Bücher