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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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ihr nie nahe genug gekommen wären, um zu merken, wie langweilig sie ist. «
    »Sie ist gar nicht mehr so langweilig«, widersprach ich. »Nicht mehr so langweilig und unsicher, aber auch nicht mehr so glücklich. «
    Er hörte sich meinen Bericht an und nickte. »Ich war überrascht, als ich von der Heirat erfahren habe. Ich dachte, sie würde sich für einen geistlos-respektablen Landjunker entscheiden, in ein Gutshaus
übersiedeln und die Fachwerkwände von oben bis unten mit riesigen Porträts ihrer königlichen Vorfahren pflastern, die dort völlig fehl am Platze wären. Nie hätte ich geglaubt, dass sie einen erfolgreichen Fiesling nehmen, wieder einen Palast beziehen und vor sich hin leiden würde.«
    »Die Porträts hat sie jedenfalls.«
    »Hat sie dir erzählt, dass sie mich heiraten wollte?« Er musste mich schon belauert haben, da er meine Miene vollkommen richtig deutete. »Für Galanterie oder Diskretion habe ich keine Zeit mehr. Ich bin schon fast tot. Da braucht man kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen.« Womit er wohl recht hatte.
    »Hat sie«, bestätigte ich.
    »Wirklich?« Das überraschte ihn nun doch.
    »Sie hätte dich wahnsinnig gern geheiratet, aber du warst nicht interessiert. Sie meinte, sie konnte dir nichts bieten, was für dich nützlich oder erstrebenswert gewesen wäre.«
    »Hört sich nach altem Groll an.«
    »Ganz im Gegenteil. Sie klang richtig rührend.«
    Er nickte und, milde gestimmt von Dagmars Großherzigkeit, schlug er einen freundlicheren Ton an. »Dass sie nicht nett ist, habe ich nie behauptet. Für mich war sie eine der Nettesten von euch allen. « Er versank in ein kurzes Grübeln. »Vertriebene Fürsten hatten es nicht einfach.«
    »Da stimme ich dir zu.«
    »Wer noch auf einem Thron saß, konnte sich nicht beklagen«, spann er seine Gedanken fort. »Als der ganze Sechziger – und Siebzigerjahrequatsch vorbei war, hatten diese Leute eine beneidenswerte Position. Aber für die anderen war es schwer.«
    »Vermutlich wolltest du dich nicht damit belasten. Als du mehr Einblick hattest, was das alles nach sich zieht.«
    »Es gab vieles, womit ich mich nicht belasten wollte, sobald ich mehr darüber wusste.« Er sah mich an. »Mit deiner ganzen Welt zum Beispiel. Sobald ich mehr Ahnung von ihr hatte.« Dann kam er wieder zur Sache. »Und du bist dir ganz sicher, dass sie dieses Briefchen nicht geschrieben hat?«

    »Absolut.«
    »Und Lucy auch nicht?« Ich berichtete ihm von der Erbkrankheit ihrer Tochter. Nachdenklich hörte er sich an, warum seine Vaterschaft ausgeschlossen war. »Und wie geht es ihr?«
    Ich wiegte den Kopf hin und her. »So lala.«
    Er wurde neugierig. »Das klingt ja nicht gerade euphorisch. Ich dachte, ihr beide wärt dick befreundet gewesen.«
    »Mehr als Dagmar ist sie selbst daran schuld, wie sich ihr Leben entwickelt hat.« Für die Rawnsley-Prices brachte ich tatsächlich nur wenig Mitgefühl auf. Im Gegensatz zu vielen anderen hatte Lucy in ihrer Jugend einige echte Chancen gehabt, aber in meinen Augen nie den kreativeren, interessanteren Weg eingeschlagen.
    Damian sprach meine Gedanken aus. »Auch Lucy ist ein Opfer der Sechzigerjahre.«
    Ich fühlte mich nun doch verpflichtet, ein wenig für meine alte Freundin einzutreten. »Es gibt schlimmere Fälle. Wenigstens gehört sie nicht zu diesen peinlichen Fernsehleuten um die sechzig, die in Lederjacken rumlaufen und sich für die Arctic Monkeys begeistern. «
    »Vielleicht. Aber sie hat damit gerechnet, dass ihre Nummer der ausgeflippten Adelstochter, die sich New-Age-Werte an die Brust heftet und mit exzentrischen Clownerien durchs Leben kaspert, ein Dauerbrenner wäre. Da hat sie sich ganz schön getäuscht.« Wie wahr! Deshalb verteidigte ich sie nun doch nicht weiter. Damian fuhr fort: »Damit überzeugt man nur, solange man jung ist. Clownerien mit achtundfünfzig wirken nur noch tragisch.«
    »Wir können Lucy nur alles Gute wünschen.«
    »Wenn du meinst. Aber die schlägt sich schon durch.« Er beobachtete mich, wie ich aus dem Fenster auf das Treiben unten starrte.
    »Ich muss schon sagen, dein Fest ist gut besucht.«
    »Ich merke schon, dass dich mein karitatives Engagement verblüfft. «
    »Ein bisschen schon.«
    »Du hast ganz recht. Ich bin kein sehr netter Mensch – im Grunde meines Herzens«, sagte er missmutig, denn er wollte keinen falschen
Eindruck erwecken, auch nicht durch Schweigen. »Aber ich schätze diese Leute. Ich bewundere ihre Gewöhnlichkeit. Als junger Mann konnte ich

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