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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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wird manchmal ein höherer Grad an Wahrhaftigkeit erreicht, aber auch die wenigen, die sich danach sehnen, ihre Sorgen vor einem auszubreiten, müssen zuerst einmal dieses Ritual einhalten.
    »Hattest du nie das Bedürfnis, nach Cincinnati zurückzukehren? «
    Sie schüttelte den Kopf. »Das habe ich mir eigentlich nie gewünscht. Greg hatte hier seine Arbeit.« Sie lächelte und wies zum Fenster. Unter dem Stimmengewirr im Restaurant konnten wir gerade noch das Meer rauschen hören. »Und über das Wetter können wir wirklich nicht klagen.«
    Ich nickte, weil Zustimmung in diesem Punkt stets erwartet wird, aber ich bin bestimmt nicht der einzige Engländer, der endlose Sonnentage ziemlich eintönig findet. Ich mag unser Wetter. Ich mag das weiche Licht der grauen Tage und den Geruch der Luft nach dem Regen. Und vor allem mag ich den plötzlichen Wechsel. »Wenn du das englische Wetter satthast«, heißt ein alter Spruch, »dann warte einfach fünf Minuten.« Natürlich erschwert das die Organisation aller
Ereignisse, die im Freien stattfinden sollen, und keine vernünftige Gastgeberin kann etwas völlig Wetterabhängiges planen, trotzdem … Egal, ich ließ das Thema auf sich beruhen.
    Der nette Gary war zurückgekehrt und hatte uns Wein eingeschenkt, während wir einen letzten Blick auf die Speisekarte warfen. »Ist es möglich, den Meeresfrüchtesalat ohne Shrimps und Calamari zu bekommen?« Terry hatte mit der Demontage der offiziell angebotenen Gerichte begonnen, für jeden Westküstenbewohner, der ein Restaurant besucht, ein Muss. »Und was genau ist im Dressing?« Gary antwortete, so gut er konnte, wurde mit Terry aber nicht handelseinig. »Wird die Artischockensuppe mit Hühnerbrühe gemacht?« Er glaubte, nicht. Aber wusste er es? Nein, ganz sicher war er nicht. Also ging er in die Küche und kehrte mit der frohen Botschaft zurück, die Brühe sei vegetarierfreundlich. Aber Terry war inzwischen längst auf neues Terrain vorgedrungen. »Ist im Tempurateig Mehl?« Ich sah sie an. Sie lächelte. »Ich habe eine Glutenallergie. « Offensichtlich machte ihr die Sache Spaß. Gary war natürlich daran gewöhnt. Wahrscheinlich stammte er selbst von hier und war mit dem Wissen aufgewachsen, dass nur Menschen von geringer gesellschaftlicher Bedeutung ihr Essen direkt von der Speisekarte weg bestellen. Aber uns allen war klar, dass sich Terry dem Moment näherte, wo sogar in Santa Monica eine Entscheidung fällig wurde. »Ich glaube, ich fange mit etwas Spargel an, aber ohne Butter oder Dressing, nur etwas Olivenöl. Dann Jakobsmuscheln, aber bitte nicht mit gemischtem Salat. Dafür nehme ich ein paar Salatherzen, ohne alles.« Zweifellos erleichtert, dass sich die Erlösung am Horizont abzeichnete, gelang es Gary, sämtliche Wünsche zu notieren. Er wandte sich an mich. Zu früh. »Kann ich etwas Spinat haben? Gehackt, aber ohne Sahne. Kein Tropfen.«
    Sie wandte sich zu mir, aber ich kam ihr zuvor. »Du hast eine Milchallergie.«
    Sie nickte beglückt. Inzwischen hatte Gary jedes Detail auf seinem kleinen Block vermerkt. Terry hatte immer noch kein Erbarmen. »Wird der Spinat mit Salz gegart?« Mit unendlicher und, wie ich fand, bewundernswerter Geduld antwortete Gary, ja, der Spinat
werde mit ein wenig Salz gegart. Terry schüttelte den Kopf, als fände sie so etwas in der heutigen Zeit unfassbar. »Kein Salz beim Garen! « Wie Gary der Geduldige auch noch bei dieser Provokation ruhig Blut bewahren konnte, war mir unbegreiflich. Er hoffte, es sei möglich. »Es ist möglich«, sagte Terry. »Kein Salz.« Damit war das Maß voll, wie ich deutlich sah. Sogar dieser entspannte junge Kalifornier hätte nun zu gern seinen Bleistift in Terrys Hals gerammt und genüsslich zugesehen, wie das Blut her vorquoll. Er nickte stumm, denn seiner Stimme traute er nicht mehr.
    Nun wandte er sich mir zu, und wir verbündeten uns spontan mit dem seltsamen, wissenden Blick zweier Fremder, die Zeugen eines abstrusen Verhaltens geworden sind. »Ich nehme die Artischockensuppe, ein Steak, medium, und einen grünen Salat.« Er schien fast verblüfft, dass meine Bestellung so rasch aufgegeben war.
    »Das wär’s?«
    »Das wär’s.«
    Mit der Andeutung eines Seufzers wandte er sich zum Gehen, als Terry ihn noch einmal festnagelte. »Ist in Ihrem Coleslaw Mayonnaise ?«
    Gary erstarrte. Als er dann antwortete, sprach er übertrieben sanft wie ein Arzt, der einen potenziell gefährlichen Geisteskranken vor sich hat. »Ja, Madam«, sagte er.

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