Eine Klasse für sich
»In unserem Coleslaw ist Mayonnaise. «
»Oh. Dann können Sie’s vergessen.« Sie wedelte ihn mit einer knappen, beleidigenden Handbewegung weg und wandte sich ihrem Glas zu.
Nachdem ich so lange als stummer Zeuge dagesessen hatte, wollte ich mich nun doch der Fairness halber einmischen. »Terry.« Sie sah mich an, vielleicht überrascht, dass ich eine Meinung dazu hatte. »In Coleslaw ist immer Mayonnaise.«
Wieder dieses kleine, ungläubig staunende Kopfschütteln. »Nicht in unserem Haus«, sagte sie, und Gary trat die Flucht an.
Die kleine Szene verriet immerhin, dass Terrys Leben in Kalifornien keineswegs so super verlief. Dieses angestrengte Anders-sein-Wollen, dieses Beharren darauf, Dinge nach eigenem Gusto zu verändern,
im Restaurant Wehrlosen gegenüber seinen Willen durchzusetzen, ist die Zuflucht aller, denen anderswo jede Macht zur Veränderung versagt bleibt. Los Angeles ist eine Stadt, in der Status alles ist, und Status hat nur der Erfolgreiche. Herzöge, Millionäre und Playboys können gern dutzendweise kommen und werden auch überschwänglich umworben. Eine Weile lang. Aber hier zu leben wäre eine unkluge Entscheidung, denn in dieser Stadt zählt auf die Dauer nur beruflicher Erfolg – vielleicht ein löblicher Zug. Allerdings stehen damit ihre Bewohner unter dem Druck, sich als erfolgreich darzustellen, denn sonst verwirken sie jedes Recht auf Respekt. Wie geht’s der Familie? Super! Der neue Job? Die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe! Das Haus? Grandios! Dabei ist der Mann bankrott, steht vor der Zwangsenteignung, hat drogenabhängige Kinder und eine Frau, die mit Scheidung droht. In dieser Stadt ist kein Raum für »grandioses Scheitern« oder für Menschen, deren Lebensplanung keine Steilkurve nach oben vorsieht.
»Was ist denn aus Greg geworden? Ich habe gehört, ihr habt euch getrennt.«
Das schien sie fröhlich zu stimmen. »Dann wird also über mich geredet? Da drüben?«
»Klar«, sagte ich, auch wenn es dreißig Jahre her war, dass in meinem Bekanntenkreis ihr Name fiel – das heißt vor meinem Gespräch mit Damian.
»Die erinnern sich wohl immer noch an meine Party.«
Taten sie zwar nicht, aber sogar mir erschien es einleuchtend, dass sie es durchaus hätten tun können. »Hast du mal rausgekriegt, wer für den Blödsinn verantwortlich war?«
»Erst viel später. Angeblich ist es dieser Typ gewesen, der dann Lucy Dings geheiratet hat. Deine Freundin. Er kannte das Mädchen, das die Brownies gebacken hat, und hat Zeugs in den Teig gemischt, als sie nicht hinsah. So lautete jedenfalls ihre Version der Geschichte. «
Philip Rawnsley-Price. Nun ja, viel war dabei für ihn nicht herausgekommen.
Sie nahm den Faden wieder auf. »Greg geht es gut. Wir sehen uns
eigentlich nicht mehr.« Achselzuckend goss sie sich noch ein Glas Wein ein. Schon vor dem ersten Gang hatten wir die Flasche fast geleert. Ich fragte, ob sie zu Rotwein übergehen wolle. Sie wollte. Mein Freund Gary kam mit den Vorspeisen und eilte von dannen, um den Wein zu holen, bevor Terry ihn zum Inhalt ihres Tellers verhören konnte. Sie schob die Stücke mäkelig mit der Gabel herum. »Du lieber Himmel. Ich hoffe bloß, die haben keine Maisstärke reingetan.«
»Warum sollten sie?«
»Das kommt schon manchmal vor. Am nächsten Morgen sehe ich dann aus wie ein Waschbär.« Wie anstrengend muss es sein, in einer Atmosphäre permanenter Gefahr zu leben. Doch trotz der Risiken begann sie mit einem gewissen Appetit zu essen. »Greg war sogar ziemlich erfolgreich. Er sah kommen, was sich im Silicon Valley anbahnte, hat Merrill Lynch verlassen und ist dort eingestiegen. Er hat das Potenzial vor den meisten anderen erkannt. Ich hätte bei ihm bleiben sollen.« Sie lachte ironisch, aber ich hörte aus ihren Worten auch echtes Bedauern heraus.
»Warum hast du ihn verlassen?« Ich war neugierig, ob sie mir von dem flatterhaften Millionär erzählen würde, dessentwegen sie aus ihrer Ehe ausgebrochen war.
»Ach, du weißt schon.« Sie grinste frivol, wollte mich zum Komplizen machen. »Ich habe einen Typen kennengelernt.«
»Und dann?«
Terry zuckte mit den Achseln. »Es hat nicht geklappt.« Sie warf die Haare mit einem leisen, freudlosen Lachen zurück. »Mannomann, hatte ich ein Glück, dass ich den wieder losgeworden bin.«
»Wirklich?«
Der Blick, den sie mir daraufhin zuwarf, verriet, dass sie im Gegenteil sehr unglücklich darüber war; der Mann verkörperte aller Wahrscheinlichkeit nach den
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