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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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tatsächlich passiert. Terry merkte, wie ich mich in Erinnerungen verlor, und prostete mir zu: »Auf die guten alten Zeiten.« Ihr beunruhigendes, verstecktes Lächeln verstärkte in mir jenes fast schizophrene Gefühl, das sich bei der Begegnung mit einer Frau einstellt, mit der man einmal geschlafen hat, allerdings vor so langer Zeit, dass es einem vorkommt, als habe es sich damals um zwei ganz andere Menschen gehandelt. Und doch ist es, wie gesagt, passiert.

    Ich sollte in Shropshire übernachten und geriet bei meiner Ankunft mitten in einen ausgewachsenen, fürchterlichen Streit des Paares, bei dem ich einquartiert worden war. Anlass war der Ball derselben Minna Bunting, mit der ich vor Kurzem eine völlig tugendhafte kleine Romanze gehabt hatte. Unsere gemeinsame Zeit war bereits vorüber, und da es nichts zu »vergessen« gab, blieben wir Freunde. Platonische Freundschaften waren in jenen Tagen durchaus üblich, und wenn man 1968 ein Mädchen als seine Freundin vorstellte, bedeutete das nicht automatisch, dass man auch mit ihr schlief. Heute dagegen hätte man das Gefühl zu lügen, wenn man nicht mit ihr schlief. Wie auch immer, ich hatte die übliche Karte erhalten – »Wir würden uns sehr freuen, Sie anlässlich Minnas Ball bei uns beherbergen zu dürfen« – , und ich parkte vor einem großen, freundlichen Pfarrhaus, einem alten Natursteinbau in der Nähe von Lichfield. Der Karte hatte ich entnommen, dass meine Gastgeberin eine gewisse Mrs. Peter Mainwaring war, die mit »Billie« unterschrieben hatte; so gerüstet
mit allen nötigen Informationen, stieg ich aus dem Auto. Ich war unsicher, wie man den Namen aussprach, hätte mir aber keine Gedanken zu machen brauchen, denn wie ich sie anredete, war ihr völlig schnuppe. » Ja? «, donnerte sie, nachdem sie die Tür aufgerissen hatte, und funkelte mich wütend an. Ihr Gesicht leuchtete zornrot, an ihrem Hals traten die Adern hervor.
    »Ich glaube, ich bin für den Ball der Buntings bei Ihnen untergebracht«, murmelte ich.
    Einen Moment lang dachte ich, sie würde mir eine Ohrfeige verpassen. » Herrgottnochmal! «, blaffte sie mich an und drehte mir den Rücken zu. Ich muss gestehen, dass ich sogar jetzt, älter und hoffentlich weiser, solche Situationen ziemlich aufreibend finde, ist man als Fremder doch gehandicapt und kann nicht im selben Ton zurückblaffen. Damals war ich völlig hilflos. Ich überlegte, ob es nicht höflicher und, offen gestanden, auch angenehmer wäre, gleich wieder ins Auto zu steigen, mir in einem Hotel in der Nähe ein Zimmer zu nehmen und den Ball von dort aus zu besuchen. Oder würde das die Situation noch verschlimmern? Aber Mrs. Peter Mainwaring alias Billie war mit mir noch nicht fertig. »Worauf warten Sie? Kommen Sie rein!«
    Ich hob meinen Koffer auf und trat zögerlich in eine große, helle Eingangshalle. Das kräftige Sonnengelb der Wände und die weiß lackierten Türen wollten nicht recht zu der Gewitterszene passen, die sich hier abspielte. An der hinteren Wand hing ein überaus anmutiger Reynolds, ein Porträt von Mutter und Kind. Ein hoch gewachsener Mann, vermutlich Mr. Peter Mainwaring, stand auf halber Höhe der breiten Treppe. »Wer ist das?«, rief er.
    »Noch einer von den verdammten Gästen der Buntings. Was hast du ihnen denn gesagt, wie viele die schicken können? Wir sind doch kein verdammtes Hotel!«
    »Ach, halt die Klappe! Und zeig ihm sein Zimmer.«
    »Sein verdammtes Zimmer kannst du ihm selber zeigen!« Allmählich fragte ich mich, ob Mrs. Mainwaring in ihrem Sprachschatz noch über weitere Adjektive verfügte.
    Während dieses wenig liebevollen Wortwechsels stand ich, in nervöser Angst erstarrt, wie angewurzelt mitten in der hübschen Eingangshalle
und fühlte mich wie zum Abschuss freigegeben. Dann kam mir die geniale Idee, ich könnte vielleicht beruhigend auf die beiden einwirken. »Bestimmt finde ich den Weg auch selbst«, sagte ich. Ein grober Fehler.
    Billie schoss herum wie ein angriffswütiges Raubtier. »So ein verdammter Blödsinn!« Ihre Gereiztheit über meine Ankunft wuchs sich zusehends zu offener Feindschaft aus. »Wie wollen Sie den Weg finden, wenn Sie das verdammte Haus nicht kennen!«
    Wäre ich älter und selbstbewusster gewesen, hätte ich ihr wahrscheinlich empfohlen, ihren Ärger für sich zu behalten oder, um mich ihres Sprachniveaus zu bedienen, sich zu verpissen, und wäre gegangen. Aber es gehört nun einmal zur Jugend, die Schuld bei sich zu suchen, zu glauben, man sei

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