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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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hochkochten wie beim nächsten Mal, als wir uns unter demselben Dach befanden. Aber das war zwei Jahre später, als wir schon in der Erwachsenenwelt lebten. Das ist eine ganz andere Geschichte.

14
    Das Wochenende verstrich recht angenehm. Wir aßen, redeten, schliefen, gingen spazieren. Es stellte sich heraus, dass Sophie Jamieson mein Interesse für französische Geschichte teilte, und die Purbricks waren eng mit Cousins von mir befreundet, die in ihrer Nähe wohnten. So plätscherte alles nett dahin, wie bei solchen Wochenenden üblich. Aber ich muss schon sagen, Andrew war mit den Jahren nicht genießbarer geworden. Seit er den Titel und die geplünderten Restbestände der Ländereien geerbt hatte, hatten sich bei ihm auch noch die letzten Spuren von Selbsterkenntnis oder Selbstzweifel verflüchtigt. Übrig geblieben war ein Potentat, ein sehr grimmiger obendrein, der die Gärtner, die Köchin und seine Frau wegen jeder Lappalie anbrüllte. Serena ließ das souverän von sich abprallen, aber als ich am Freitagabend vor dem Dinner die Treppe herunterkam, wurde ich Zeuge, wie Andrew ihr wegen eines Bilderrahmens, der repariert hätte werden sollen, Vorwürfe machte. Auf dem Weg zur Bibliothekstür suchte ich ihren Blick; sie wich mir nicht aus, sondern zog hinter Andrews Rücken sogar leicht die Augenbrauen hoch. Mehr oder weniger das größte Kompliment, das englische Hochwohlgeborene einem anderen machen können: ihn in ihre Familiendramen einzuweihen.
    Samstagmittag schlug Serena nach dem Lunch und dem Kaffee im Salon einen Spaziergang am Fluss vor, zu dem sich die meisten meldeten. »Ihr werdet Gummistiefel brauchen«, sagte sie. Es standen jede Menge Stiefel für alle bereit, die nicht selbst welche mitgebracht hatten, und so waren wir bald gerüstet und unterwegs. Der Park von Waverly war nett und nichtssagend, die übliche viktorianische Anlage, nur so weit abgespeckt, dass sie von zwei Gärtnern statt der früher üblichen zwölf gepflegt werden konnte. Mit den obligatorischen Ahs und Ohs gingen wir durch, aber dies war nicht die Hauptattraktion.
Serena führte uns durch ein Tor, eine Allee entlang und über eine Weide in ein Wäldchen, bis wir schließlich eine grasbewachsene Böschung erreichten. Auf ihr ließ sich wunderbar einen breiten Fluss entlangspazieren. Ich zeigte mich begeistert von den Wundern der Natur. »Alles künstlich angelegt«, sagte Serena. »Das Flussbett wurde 1850 umgeleitet, die Spazierwege dem neuen Flusslauf angepasst. « Ich konnte nur die Genialität, das beeindruckende savoir vivre jener Generation bestaunen.
    Die anderen trödelten herum, und wir ließen sie ein Stück hinter uns. Ich genoss es, mit Serena allein zu sein. Sie hakte sich bei mir ein, und ich ließ den Blick in die Landschaft schweifen. Am anderen Ufer beugte sich eine mächtige Weide übers Wasser, ihre Zweige hingen, Schlingpflanzen gleich, bis in die Fluten und kräuselten die Oberfläche. Plötzlich ein Aufflattern – über den Bäumen erhob sich ein Reiher und segelte elegant, mit langsamem, rhythmischem Flügelschlag über den Himmel. »Das sind vielleicht Räuber! Andrew sagt immer, wir sollten sie abschießen, sonst ist der Fluss bald leer.« Aber ihr Blick folgte dem großen grauen Vogel auf seinem wundersamen Flug. »Es ist ein besonderes Privileg, hier zu leben«, sagte sie nach ein, zwei Minuten.
    Ich sah sie an. »Das hoffe ich.«
    »Das ist es wirklich.« Sie sah mir unvermittelt in die Augen, um Ehrlichkeit bemüht. »Wenn wir allein sind, ist er ganz anders.«
    Das war natürlich sehr schmeichelhaft, dieses Sprechen in Kürzeln, ohne Namen und nähere Angaben. Der Gedanke, dass es eine solche Kürzelsprache zwischen uns gab, berauschte mich, und dass Serena sie benutzte, noch mehr. Zugleich gestand sie ihre Schuld ein, denn sie hätte mir gestern Abend in der Eingangshalle nicht bedeuten dürfen, wie grotesk sie Andrews Benehmen fand. Wie auch immer, sie bediente sich der Standardverteidigung aller Frauen, deren Freunde ihren Mann schrecklich finden. Niemand hatte Andrew je gemocht. Auf die verborgenen Qualitäten des Ehegatten hinzuweisen ist natürlich ein unwiderlegbares Argument. Das in manchen Fällen sicher auch stimmt. Aber es fiel mir schwer zu glauben, dass Andrew Belton unter vier Augen sensibel, liebenswert und amüsant
sein sollte, nicht zuletzt deshalb, weil es gegen Dummheit kein Heilmittel gibt. Dennoch betete ich, es möge wahr sein, wenigstens teilweise. »Wenn du das sagst,

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