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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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der Sechzigerjahre war ein anderer Planet mit anderen Hoffnungen und ganz anderen Erwartungen, und wie alle Planeten war er einfach auf seiner Umlaufbahn davongedriftet.
    Hin und wieder traf ich auf einer Hochzeit oder einer Benefizgala ein paar der einstigen Debütantinnen, nun in Ehren ergraute Damen; wir lächelten uns zu und unterhielten uns über ihre Kinder, warum sie Fulham verlassen hatten, und ob Shropshire eine gute Wahl
gewesen war. Nach Portugal war ich aus dieser Welt ausgestiegen, und auch als Gras über die Geschichte gewachsen war, im Grunde nie dorthin zurückgekehrt. Wenn ich es mir recht überlegte, vermisste ich doch ein paar der Gefährten aus jener Zeit. Lucy Dalton zum Beispiel war eine enge Verbündete gewesen. Letztlich hatte sie den Ausschlag gegeben, dass ich an der Saison überhaupt teilnahm. Ich verstand mich nicht mit ihrem Mann, deshalb hatten wir uns aus den Augen verloren, aber das erschien mir nun als wenig triftiger Grund für den Verlust einer Freundin. Deshalb beschloss ich spontan, mit meinen Nachforschungen bei ihr anzufangen. Der Liste entnahm ich, dass sie nach Kent in die Nähe von Tunbridge Wells gezogen war. Es wäre ein Leichtes, sie anzurufen und mich unter dem Vorwand, ich sei gerade »in der Gegend«, bei ihr zum Lunch einzuladen.

    Wenn ich sage, Lucy habe über meine Teilnahme an der Saison entschieden, heißt das einfach, dass sie mich eingeladen hatte, mit ihr den Queen Charlotte’s Ball zu besuchen. Dieser Ball war damals der offizielle Auftakt der Tanzveranstaltungen und gleichzeitig ihr zeremonielles Herzstück. Wer ihn versäumte, zählte nicht zu den vollwertigen Mitspielern. Da ich zunächst nicht unbedingt dazugehören wollte, hatte ich noch keine genauen Pläne. Der Ball rückte schon näher, als ich zu meiner Überraschung eine Karte von Lady Dalton mit der Einladung erhielt, mich ihrer Gesellschaft anzuschließen. Bevor ich antwortete, rief ich ihre Tochter an. »Wir wollten meinen Cousin Hugo Grex mitnehmen, aber der hat gekniffen«, erklärte Lucy ohne Umschweife. »Es macht nichts, wenn du nicht kannst, aber sag’s lieber gleich, damit wir jemand anderen auftreiben können. Fast alle, die gehen wollen, sind schon anderweitig verabredet.« Nicht gerade die schmeichelhafteste Einladung, aber langsam wurde ich neugierig und kam zu dem Schluss, wenn ich schon bei der Saison mitmischen wollte, dann am besten richtig.
    »Nein, nein, ich komme gern. Danke.«
    »Dann sag Mummy schriftlich zu, sonst zweifelt sie an deinen Manieren. Sie wird dir mitteilen, wann und wo du dich einfinden sollst. Du weißt, dass du im Frack zu erscheinen hast?«

    »Natürlich.«
    »Also bis dann, wenn wir uns vorher nicht mehr sehen.« Und schon hatte sie aufgelegt.
    Vielleicht weil ich diesen Ballbesuch ursprünglich nicht beabsichtigt hatte, war ich wie vom Donner gerührt, als ich ein paar Stunden später erfuhr, dass Damian Baxter seine Einladung längst in der Tasche hatte. Damals bekamen die Studenten mancher Colleges in Cambridge nicht einfach nur ein einziges Zimmer, sondern sowohl einen Wohnraum als auch einen Schlafraum zugeteilt. Ich hatte in jenem Jahr hübsche Räume in einem alten, umgewandelten Cottage, an die ich mich immer noch mit Wehmut erinnere; sie lagen allerdings in verschiedenen Teilen des Gebäudes. Ich ging ein Buch aus meinem Schlafzimmer holen und war nicht wenig überrascht, als ich bei meiner Rückkehr ins Wohnzimmer Damian vorfand, der sich die Beine an der zischenden Gasheizung im Kamin wärmte. »Ich habe gehört, du gehst mit den Daltons zum Queen Charlotte’s Ball«, sagte er. »Könnte ich vielleicht bei dir in London übernachten? Ich habe wirklich keine Lust, nach dem Ball hierher zurückzufahren.«
    »Woher weißt du überhaupt, dass ich gehe?«
    »Lucy hat’s mir erzählt. Ich habe ihr gesagt, dass ich mit den Waddiloves hingehe, und dann wollte sie dich anrufen. Ich bin ganz schön neidisch.« Diese Aussage enthielt ja eine geballte Menge Informationen. Womöglich mehr, als ihm selber klar war. Aber bei ihm wusste man nie. Er hatte diesen Ball offenbar unbedingt besuchen wollen, und da er Georginas Schwäche für ihn kannte und sicher auch hätschelte, hatte er hier seine Chance gesehen. Gleichzeitig gab er mir zu verstehen, er sei Lucys erste Wahl als Ersatz für ihren Cousin gewesen, ich dagegen nur die Notlösung. Das wollte er mir wohl unter die Nase reiben.
    »Du hast mir gar nicht erzählt, dass du hingehst.«
    »Du hast mich auch

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