Eine Klasse für sich
Gründe gebe, dies aufzuschieben. Es gab keine. Er verbeugte sich, höchsterfreut über meine Erlaubnis, sich nützlich machen zu dürfen, aber bevor er den Raum verließ, richtete er noch einmal das Wort an mich: »Mr. Baxter lässt fragen, ob Sie vielleicht Zeit hätten, vor Ihrem Aufbruch zum Bahnhof bei ihm hereinzuschauen.« Das war eindeutig ein Befehl.
Damians Schlafzimmer lag in einem anderen Trakt des Hauses als mein Gästezimmer. Am obersten Treppenabsatz führte eine breite Galerie zu einer Doppeltür, deren Flügel halb offen standen. Als ich die Hand hob, um zu klopfen, wurde mein Name gerufen, und ich trat in einen hellen, hohen Raum, dessen Wandtäfelung in einem lichten Trianon-Grau gestrichen war. Vielleicht hatte ich die dunkle Höhle eines Magiers erwartet, aber dies war neben der Bibliothek offensichtlich der zweite Raum, den Damian wirklich bewohnte. An einer Wand stand vor einem Gobelin ein großes antikes Himmelbett aus Mahagoni, mit Blick auf einen Rokoko-Kamin, über dem eines von Romneys zahlreichen Porträts der reizvollen Lady Hamilton hing. Drei hohe Fenster gingen auf den Garten hinaus, der, wie ich jetzt sah, als kleiner Park angelegt war, mit einem gepflegten, eindrucksvollen Baumbestand, alles garantiert seltene Arten. Im Raum verteilt standen intarsienverzierte Stühle, ein Schreibtisch und etliche, mit Büchern und kostbaren Objekten beladene Beistelltischchen; eine sehr schöne Chaiselongue, mit einer zusammengelegten Decke am Fußende lud ihren Besitzer ein, es sich auf ihr bequem zu
machen. Der Gesamteindruck war bezaubernd, grazil und eigenartig weiblich; der Raum strahlte mehr Feinsinn aus, als ich Damian zugetraut hätte.
Er saß im Bett. Im Schatten des Baldachins hatte ich ihn nicht gleich gesehen, denn er war tief in den Kissen versunken und von Briefen und einer Flut Zeitungen umgeben. Ich konnte den Gedanken nicht verscheuchen, dass es ein schwarzer Tag für die ortsansässigen Zeitungshändler sein würde, wenn Damian das Zeitliche segnete. »Du hast die Liste gefunden«, sagte er.
»Ja.«
»Warst du überrascht?«
»Von Joanna wusste ich. Hatte zumindest den Verdacht.«
»Unsere eigentliche Affäre war schon lange vorbei. Aber am Abend, als sie von Lissabon zurückkam, habe ich ein letztes Mal mit ihr geschlafen. Sie hat bei mir zu Hause vorbeigeschaut. Wollte wohl nachsehen, ob alles mit mir in Ordnung war.«
»Das überrascht mich nicht.«
»Dabei ist es dann nicht geblieben.«
»Aber hattest du da nicht schon Mumps?«
»Ich habe erst ein paar Tage später Halsschmerzen bekommen. Und anscheinend speichert man eine gewisse Menge Dings, die nicht beeinträchtigt wird.«
»So genau will ich’s gar nicht wissen.«
»Wie du dir vorstellen kannst, bin ich inzwischen der weltweit größte Experte.« Er lachte ironisch auf, von diesem Schicksalsschlag bewundernswert ungebrochen. »Irgendwelche Kommentare zu den anderen?«
»Also, mit Terry habe sogar ich geschlafen, und Candida überrascht mich eigentlich auch nicht, obwohl ich nicht gedacht hätte, dass sie dein Typ ist. Aber die anderen beiden hätte ich nicht auf der Liste vermutet.«
»Wahrscheinlich bist du von deiner alten Freundin Lucy enttäuscht.«
»Nur, weil ich dachte, sie kann dich genauso wenig leiden wie ich.« Das brachte ihn zum ersten Mal richtig zum Lachen. Aber die
Anstrengung war schmerzhaft, und wir mussten kurz warten, bis er sich wieder erholt hatte.
»Sie fühlte sich nur zu Männern hingezogen, die sie nicht mochte. Mit allen anderen hat sie Freundschaft geschlossen. Mit dir zum Beispiel.« Da mochte etwas Wahres dran sein.
»Siehst du noch die eine oder andere?«, fragte er.
Seltsam, ihn so fröhlich plaudern zu hören, wenn man bedachte, wie alles geendet hatte. »Im Grunde nicht. Gelegentlich läuft man sich über den Weg, du weißt ja, wie es ist. Dann sind sie also alle verheiratet? «
»Ja, manche glücklich, manche weniger glücklich. Candida ist Witwe. Ihr Mann kam am 11. September um. Aber davor sollen die beiden sehr glücklich gewesen sein.«
Momente wie diese, wenn Freunde aus der Vergangenheit plötzlich gewaltsam ins aktuelle Zeitgeschehen hineingezerrt werden, können sehr schockierend sein. »Das tut mir leid. War er Amerikaner ?«
»Engländer. Aber er hat für eine Bank gearbeitet, die ihr New Yorker Büro in einem der oberen Stockwerke hatte. Pech für ihn, dass er an jenem Tag zu einem Meeting hinbeordert wurde.«
»Mein Gott, wie schrecklich. Sind Kinder
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