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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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da?«
    »Zwei von ihm. Aber er kann nicht der Vater des Kindes sein, das ich suche. Sie haben erst geheiratet, als der Junge acht war.«
    »Ich erinnere mich an sie als alleinerziehende Mutter. Sehr mutig von ihr.«
    »Für die Nichte eines Lords, im Jahre 1971? Das kannst du laut sagen. Mutig war sie wirklich. Ein bisschen ruppig, aber sie hatte Biss. Deshalb mochte ich sie.« Er zögerte, ein leichtes Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. »Fehlen irgendwelche Namen, die du erwartet hast?«
    Wir durchbohrten uns mit Blicken. »Nicht, wenn die Liste unvollständig ist.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie umfasst doch nur die Frauen, die in der fraglichen Zeit ein Kind bekommen haben.«

    Damian nickte. »So ist es. In anderer Hinsicht ist sie natürlich unvollständig.« Er ließ sich nicht weiter darüber aus, was mir sehr recht war. »Hast du die Karte?«
    »Ja. Aber ich glaube nicht, dass ich sie benötige.«
    »Jetzt lass doch bitte mal diese englische Ziererei.« Er seufzte. »Du hast kein Geld. Ich habe so viel davon, dass ich jeden Tag meines restlichen Lebens eine Million auf den Kopf hauen könnte, ohne mein Vermögen auch nur anzukratzen. Benutz die Karte. Amüsier dich. Mach damit, was du willst. Nimm’s als dein Honorar. Oder meinen Dank. Oder meine Entschuldigung, wenn’s sein muss. Aber benutze sie.«
    »Es stimmt nicht, dass ich ›kein Geld‹ habe«, verwahrte ich mich. »Ich habe nur nicht so viel wie du.« Er machte sich nicht die Mühe einer Erwiderung, und ich protestierte nicht weiter. Also muss er mich wohl überzeugt haben.
    »Irgendwelche Präferenzen, wo ich beginnen soll?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Fang an, mit wem du willst.« Er machte eine Pause, um Atem zu schöpfen. »Aber zieh die Sache bitte nicht unnötig in die Länge.« Seine Stimme klang heute angestrengter, rauer als gestern Abend. War das morgens immer so? Oder verschlechterte sich sein Zustand? »Ich möchte dich natürlich nicht drängen«, fügte er hinzu. Er bemühte sich um höfliche Leichtigkeit wie eine Figur aus einer eleganten Komödie, und das ging sogar mir nahe. Im selben Ton hätte er sagen können: »Hat jemand Lust auf eine Partie Tennis?« Oder: »Kann ich jemanden mit zurück nach London nehmen?« Er war tapfer. Das will ich gar nicht leugnen.
    »Ich denke, das braucht seine Zeit«, sagte ich.
    »Selbstverständlich. Aber bitte nicht mehr Zeit als unbedingt nötig.«
    »Und wenn ich keine Beweise dafür oder dagegen finden kann?«
    »Schließ alle aus, die nicht infrage kommen. Dann machen wir uns Gedanken um den Rest.«
    Das klang logisch, und ich nickte. »Ich weiß immer noch nicht, warum ich da mitmache.«
    »Weil du, wenn du dich weigerst, nach meinem Tod Schuldgefühle haben wirst.«

    »Des Kindes wegen vielleicht, aber nicht deinetwegen.« Ich würde mich unter normalen Umständen nicht als kaltschnäuzig bezeichnen und begreife nicht ganz, warum ich an jenem Morgen so hart mit ihm umsprang. Was ich ihm vorzuwerfen hatte, war längst passé , und wenn nicht vergessen, dann irrelevant, sogar für mich. Allerdings schien er mich zu verstehen.
    Meine Worte waren in dem Schweigen zwischen uns versickert. Er sah mich mit ruhigem Blick an. »Ich hatte in meinem ganzen Leben keinen Freund, der mir näher gewesen wäre als du«, sagte er.
    »Ja, aber dann … wie konntest du dann so etwas tun?« Er schätzte mich falsch ein, wenn er glaubte, diese zuckersüßen Sentimentalitäten würden die Erinnerung an den schlimmsten Abend meines Lebens auslöschen – einen Abend, wie ich ihn meinem ärgsten Feind nicht wünsche.
    »Das weiß ich auch nicht so genau.« Er schien sich eine Weile in Gedanken zu verlieren, blickte aus dem Fenster hinaus ins Weite. »Ich glaube, ich habe seit meiner Kindheit an einer Art Klaustrophobie gelitten, was Herzensdinge angeht.« Er lächelte. »Tatsache ist, dass mir bei jeder Art von Liebe stets unbehaglich war. Vor allem, wenn sie sich auf mich richtete.«
    Dabei beließen wir es.
    Es mag der Eindruck entstehen, als wäre ich, seit ich vor vierzig Jahren von der letzten Tanzfläche abgetreten bin, besessen von allen diesen Menschen und ganz besonders von Damian. Aber so war es nicht. Wie jeder andere hatte ich seither meinen Alltag damit verbracht, mich mit den Abstrusitäten meines Lebens herumzuschlagen, und seit vielen Jahren keinen Gedanken mehr daran verschwendet, wie ich damals gewesen war, wie wir alle damals gewesen waren. Die Welt

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