Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
Vom Netzwerk:
Hinsicht Genüge getan war – Trauung in der alten Dorfkirche, Festzelt auf dem Rasen, Platten mit faden Knabbereien, dafür ausgezeichneter Champagner – , schien es dem Fest irgendwie an Brio zu fehlen. Sogar die Reden enthielten wenig mehr als Floskeln, denkwürdig lediglich die Ansprache von Lucys betagtem Onkel, der vergaß, wo er war, und uns als »liebe Mitglieder« titulierte. Mitglieder wovon hat er uns jedoch nie verraten.
    Alles klärte sich auf, als Lucy schon im Frühjahr ein Mädchen zur Welt brachte. Danach war ich öfter bei dem Paar zu Gast, bei fröhlichen Abendessen in der Küche mit unseresgleichen – die Mädchen aus besseren Kreisen hatten damals den Spitznamen Girls in Pearls, Mädchen mit Perlenkettchen, und wir Jünglinge waren kinnlose
Wunderknaben , eine etwas unzarte Anspielung auf adelige Degeneration. Von Philip hatte ich nie viel gehalten, auch später nicht, als wir den Tanzereien entwachsen waren. In ihm vereinte sich Inkompetenz mit einer atemberaubenden Arroganz, und schließlich führte uns das Leben gnädig auf getrennte Wege. Lucy und Philip hatten die Sechzigerjahre (die bekanntlich großteils in den Siebzigern stattfanden) begeistert begrüßt und mussten wie viele andere mit herber Enttäuschung fertig werden, als sich abzeichnete, dass das erleuchtete Zeitalter des Aquarius nun doch nicht anbrach. Sie verließen London, und Philip stürzte sich in eine Reihe verschiedener Jobs oder, wie er es ausdrücken würde, Projekte; die jüngste Geschäftsidee war ein »Bauernladen«, den er und Lucy in Kent eröffnet hatten. Davor war er an Catering, Gastronomie, Sportbekleidung und so was wie Grundstückserschließung gescheitert, was für die weitere Zukunft wenig hoffen ließ. Ich war neugierig, ob die Telefonnummer noch stimmte, als ich Lucy nach dreißig Jahren zum ersten Mal wieder anrief. Aber sie hob ab, und nach anfänglichem Herumgeplänkel erklärte ich, dass ich nächste Woche in ihrer Gegend zu tun hätte und gern bei ihr vorbeischauen würde, da wir uns sicher eine Menge zu erzählen hätten. Auf meinen Vorschlag folgte ein kurzes Schweigen. Dann sagte sie: »Klar. Wie schön. An welchen Tag hattest du denn gedacht?«
    »Das überlasse ich dir. Ich kann meine Termine danach einrichten, wann du Zeit hast.« Das war unfair von mir, aber ich hatte den starken Verdacht, dass es ausgerechnet an dem Tag, den ich vorgeschlagen hätte, nun leider gar nicht ginge. So blieb ihr nichts anderes übrig, als mit Anstand klein beizugeben.
    »Du darfst aber kein großartiges Essen erwarten. Meine Kochkünste haben sich seit unserer letzten Begegnung nicht verbessert.«
    »Ich möchte nur gern sehen, wo du wohnst.«
    »Ich fühle mich sehr geschmeichelt.« Sehr geschmeichelt klang das nicht, trotzdem fuhr ich am Donnerstag der folgenden Woche los und schlug mich auf den Landsträßchen Kents nach Peckham Bush durch.
    Ich folgte Lucys Wegbeschreibung, ließ den Ort hinter mir und
bog, als sich in der hohen Hecke eine Lücke auftat, in die holprige Zufahrt zu einem ehemaligen Bauernhof ein. Große Schilder wiesen zu einem hell erleuchteten Ladengebäude mit einem Überangebot an Parkplätzen, aber das alte Bauernhaus mit dem roten Ziegeldach lag noch ein Stück dahinter, und so hielt ich erst dort. Ich war noch nicht ausgestiegen, als Lucy schon auftauchte. Sie begrüßte mich etwas zurückhaltend. Wir hatten uns, wie gesagt, viele Jahre nicht gesehen, und nur aus einem solchen Abstand lässt sich die ganze Grausamkeit der Zeit ermessen. Und, in Lucys Fall, der Enttäuschung.
    So hart war das Leben nicht immer mit Lucy umgesprungen. In einem aus heutiger Sicht bescheidenen Umfang war sie damals ein Liebling der Medien gewesen, ein frühes It-Girl, eine Vorläuferin der Promikultur, die uns bald überschwemmen sollte. Mehr als die meisten anderen Mädchen hatte sie sich den Parolen der Swinging Sixties verschrieben, auch wenn sie nicht so weit ging, dass sie die Müttergeneration wirklich schockierte. Sie trug die kürzesten Miniröcke und den schwärzesten Kajalstift; mit ihren lockeren Sprüchen brachte sie die Journalisten zum Lachen. So schwärmte sie für die »süßen Posträuber« oder erklärte Che Guevara zum Märtyrer mit dem größten Sexappeal. Einmal wurde sie nach dem glücklichsten Augenblick ihres Lebens gefragt. Sie nannte den Moment, als dem Rocksänger P. J. Proby die Hose im Schritt aufplatzte, was dem Evening Standard eine Schlagzeile wert war. Lucys Rebellion war

Weitere Kostenlose Bücher