Eine Koelner Karriere
müde.«
Markesch stand auf. »Sicher«, brummte er. »Tut mir leid, wenn ich Sie überanstrengt habe. Noch einmal vielen Dank.«
Sie brachte ihn durch den engen, vollgestellten Korridor zur Tür, war ihm für einige Momente ganz nah, klein und schutzlos, und erneut war er versucht, sie in die Arme zu nehmen und an sich zu drücken, sie zu trösten und die schweren Schatten zu vertreiben, aber da hing dieses Foto an der Wand neben der Tür, eins dieser Schattenspielportraits ihres toten Mannes, Augen, die ihn aus dem schwarzen Rahmen anstarrten, und er konnte es nicht.
Er konnte ihr nicht einmal die Hand geben, aus Furcht, sie nicht mehr loslassen zu können, wenn er sie einmal berührte.
Er ging.
11
Der Besuch in der Bohlen-Gruft hatte Markeschs ohnehin überstrapaziertes Nervenkostüm bedenklich zerrüttet, und als er humpelnd den stark befahrenen Ehrenfeldgürtel überquerte, tief in Gedanken versunken, und blind für das warnende Rot der Ampel, entging er nur um Haaresbreite der Stoßstange eines heranrasenden VW-Busses. Der Bus machte eine Vollbremsung, schleuderte auf den Radweg und prallte fast gegen einen Baum, ehe er schief auf dem Bürgersteig zum Stehen kam.
Im ersten Schreck drohte Markesch dem Unglücksfahrer brutal mit der Faust und bemerkte erst im zweiten Schreck, daß der Mann am Steuer kein Mensch, sondern ein Monstrum war, als wäre er als Kind in einen Eimer mit Wachstumshormonen gefallen, eine einzige ungeheuerliche Muskelwucherung aus Dr. Frankensteins Bodybuildingstudio. Tatsächlich prangte an der Seite des Busses das Logo eines Fitneßstudios, ein Schriftzug, so schwungvoll-modern wie unleserlich, der sich wie eine Schlange um den Bizeps eines Supermannes wand.
Das Monstrum kurbelte die Scheibe hinunter und deckte ihn mit wüsten Beschimpfungen und ernstzunehmenden Morddrohungen ein, aber ehe er aussteigen und seine Drohungen in die Tat umsetzen konnte, floh Markesch in die gegenüberliegende Filiale von McDonald’s.
Einstein Junior erwartete ihn hinter einem Berg Cheeseburger und Fritten, die er mit der Gefräßigkeit eines ausgehungerten Heuschreckenschwarms in sich hineinstopfte. Er blinzelte vergnügt und fragte kauend: »He, Mann, was machen die verschwundenen Füße?«
»Der erste Zeh ist aufgetaucht, das Puzzle fügt sich zusammen«, knurrte Markesch und zog ihn von seinem Plastikstuhl hoch. »Genug geschlemmt. Ich brauche einen Scotch, und zwar sofort!«
Junior protestierte lautstark, doch Markesch war nicht in der Stimmung, auf die Proteste eines Fast-Food-Junkies zu achten. Er zerrte ihn nach draußen ins Taxi und ließ sich mit der üblichen Überschallgeschwindigkeit in die Südstadt chauffieren, wo er an der Alteburger Ecke Teutoburger Straße ausstieg und auf einen dreifachen Whisky ins Litho stiefelte. Die Kneipe mit Fisch wurde von einem Dreigestirn griechischer Löschspezialisten geführt, die ihr Leben dem Kampf gegen den verderblichen Durst verschrieben hatten, und war genau die richtige Anlaufstation für einen Privatschnüffler in der Sinnkrise.
Er bestellte bei der faszinierend blonden Bedienung ein Wasserglas voll Johnny Walker, ignorierte das Publikum aus trunksüchtigen Schriftstellern, alkoholisierten Filmkritikern und extrem beduselten Snap-On-Tools-Dealern und dachte über Corinne von Bohlen und die erstaunliche Wirkung der Hormone nach. Dann kam der Scotch, und er wandte sich praktischeren Dingen zu.
Ganz gleich, was Corinne von Bohlen mit seinen Hormonen auch angestellt haben mochte, weder sie noch Leo Schrattner schienen im Fall Kress als Täter in Frage zu kommen, trotz ihrer geradezu perfekten Motive und der Tatsache, daß er dringender denn je einen Täter brauchte. Schrattner war längst jenseits aller irdischen Dinge, und Corinne von Bohlen hatte sich zusammen mit ihrem verstorbenen Mann begraben. Sicher, da war ihr Faible fürs Fotografieren, aber so, wie sie auftrat, hatte sie nicht einmal die Kraft, einen Film ins nächste Fotolabor zu bringen.
Und dann noch dieser Mein-toter-Mann-besucht-mich-manchmal-zum-Fünfuhrtee-in-Köln-Ehrenfeld-Wahn. Vielleicht nichts Ungewöhnliches für Ehrenfeld, aber trotzdem …
Markesch schauderte.
Furchtbar, dachte er. So schön, so süß und so verdreht. Einfach grauenhaft. Und das Schlimmste ist: Ich arbeite für den Mann, der ihr das angetan hat! Er kippte erschüttert den Whisky hinunter und orderte bei der Blondine ein neues Glas. Natürlich, sinnierte er zwischen den einzelnen Schlucken, war
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