Eine Krone für Alexander (German Edition)
Vorfall ein?“
„In unserer Nähe waren einige, die hätten uns ohne
Federlesen umgebracht. Andere schienen unentschlossen zu sein. Ich glaube, die
meisten waren selbst erschrocken über das, was passiert ist, und die, die
weiter hinten standen, dürften ohnehin nicht viel mitbekommen haben.“
„In Ordnung“, sagte Philipp. „Du wirst dir morgen die Gefangenen
anschauen und die Rädelsführer heraussuchen. Sie werden hingerichtet. Die
anderen werden morgen das Lager verlassen und unter Bewachung nach Selymbria
eskortiert. Dort werden sie zu Schiff außer Landes gebracht. Keiner wird es
jemals wieder betreten. Wenn doch, wird er hingerichtet.“ Er ließ sich wieder
zurücksinken und ächzte. „Am liebsten würde ich die ganze Bande einen Kopf
kürzer machen, aber niemand soll sagen können, Philipp sei ein Despot!“
2
„Kannst du in der Dämmerung überhaupt noch etwas erkennen?“,
fragte Hephaistion. Neugierig blickte er über Alexanders Schulter in die
Schriftrolle. „Vielleicht solltest du näher ans Feuer rücken.“
Harpalos witzelte: „Ein guter Rat! Wenn er nahe genug herankommt,
wird das Buch von Funken getroffen und geht in Flammen auf, und wir müssen uns
nicht mehr Herodots endlosen Exkurs über die Skythen anhören.“
Alexander sah ungerührt weiter in sein Buch. „Man muss so
viel über den Feind in Erfahrung bringen wie möglich.“
„Ich sage es ungern, aber er hat recht“, erklärte Langaros.
„Wir sollten wissen, mit wem wir es zu tun bekommen. Die Skythen sind Barbaren
und für ihre schreckliche Wildheit berüchtigt.“
„Worüber beschwerst du dich? Du bist selbst ein Barbar“,
sagte Harpalos, und alle lachten, auch Langaros selbst. „Ihr Makedonen doch
auch“, konterte er, und wieder lachten alle.
„Auf uns Barbaren!“, brüllte Proteas und hob seinen Becher.
„Auf uns Barbaren!“, unterstützten ihn andere, und aus
Gründen der Vollständigkeit fügte Nearchos, selbst Grieche, hinzu: „Und auch
auf uns Nichtbarbaren!“
„Gerechtigkeit muss sein“, stimmte Proteas zu. „Auf
Nearchos! Und auf Erigyios und Laomedon und die anderen armen Schweine, die
heute Nacht Dienst haben!“
Als sie sich wieder beruhigt hatten, fuhr Langaros fort:
„Aber im Ernst, die Skythen sind eine blutrünstige Bande. Alexander, erzähl den
anderen doch mal, was die mit ihren Feinden anstellen.“
Ohne von seiner Lektüre aufzusehen, dozierte Alexander: „Die
Skythen sind erstklassige Reiter und gefährliche Bogenschützen. Sie
überschütten ihre Feinde aus vollem Galopp mit einem Hagel von Pfeilen. Die
Pfeilspitzen sind vergiftet und mit Widerhaken versehen.“
Langaros, der wie jeder andere am Feuer mit seinen Lehrern
Herodot gelesen hatte, ergänzte: „Sie trinken das Blut ihrer Feinde und
benutzen deren Schädel als Trinkschalen. Die Kopfhaut ziehen sie ab und
dekorieren damit das Geschirr ihrer Pferde. Wenn ein skythischer König stirbt,
wird er unter einem hohen Grabhügel begraben, zusammen mit Unmengen von Gold.
Und seine Frauen werden getötet und zusammen mit ihm begraben.“
„Gut, dass das bei uns anders ist“, meinte Harpalos, „sonst
hätten wir einiges zu tun, wenn der König stirbt. Sein Grabhügel müsste
riesengroß sein, damit seine vielen Frauen darunterpassen.“ Wieder folgte
lautes Johlen und Kichern.
Sensationslüstern fuhr Langaros fort: „Außerdem töten sie
die Diener des Königs, stopfen sie aus und setzen sie auf Pferde, die in einem
Kreis um den Grabhügel herum auf Pfähle gespießt werden. Die Pferde sind natürlich
auch tot und ausgestopft.“
„Ihr seid geschmacklos“, meinte Hephaistion verächtlich.
„Herodot hat sich bemüht, uns die Kultur und Lebensweise dieses exotischen
Volkes nahezubringen, und das Einzige, was euch interessiert, sind solche
Schauergeschichten!“
Als sie das Haimos-Gebirge überquert und das Becken des
Istros erreicht hatten, stieß Kothelas, der König der Geten, mit seinen
Stammeskriegern zu ihnen. Der Vater von Meda, Philipps neuester Gattin, sprach
gebrochen Griechisch. Atheas, berichtete er, war ursprünglich ein unbedeutender
Häuptling gewesen, der im Lauf der Jahre seine Herrschaft über fast alle
skythischen Stämme ausgedehnt hatte. Seine Macht erstreckte sich nun vom Mündungsgebiet
des Istros bis weit hinauf in den Norden zu dem des Tanais.
Gemeinsam mit Kothelas’ Kriegern rückte die Armee in das
Gebiet südlich der Istros-Mündung vor. Das Land bestand aus unberührter Steppe
und wirkte
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