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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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groß war, dass keine zwei Berichte darüber übereinstimmen. Je nachdem, wessen Zahlen man glaubt, hatte es 154, 172 oder 272 Zimmer. Einhellige Meinung aber ist, dass es vierzehn Aufzüge gab, erheblich mehr als in den meisten Hotels. Allein der Unterhalt kostete Mr. Stotesbury fast eine Million Dollar im Jahr. Vierzig Gärtner und neunzig weitere Angestellte standen in seinen Diensten. Außerdem besaßen die Stotesburys ein Sommercottage in Bar Harbor in Maine, das nur achtzig Zimmer und achtundzwanzig Bäder hatte, und ein noch prunkvolleres Heim, El Mirasol, in Florida.
    Architekt des Letztgenannten war Addison Mizner, der heute fast vollständig vergessen ist, aber eine kurze, glanzvolle Zeitlang in den Vereinigten Staaten ein überaus gesuchter und auf jeden Fall außergewöhnlicher Architekt war.
    Mizner kam aus einer vornehmen alten Familie in Nordkalifornien. Sein Bruder war der Theaterschriftsteller und Impresario Wilson Mizner, der neben vielem anderen an dem Song »Frankie and Johnnie« mitarbeitete. Bevor Addison Architekt wurde, führte er ein herrlich exotisches Leben: Auf Samoa malte er Bilder für die Laterna magica, in Shanghai verkaufte er Sarggriffe und verhökerte asiatische Antiquitäten an reiche Amerikaner, und in Klondike schürfte er Gold. Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten wurde er Landschaftsarchitekt auf Long Island und widmete sich schließlich dem Bau prächtiger Villen in NewYork. Diese Laufbahn musste er allerdings abrupt abrechen, als die Behörden merkten, dass er weder die notwendige Ausbildung — »nicht mal einen Fernkurs«, sagte ein erstaunter Beobachter — noch eine Lizenz besaß. 1918 verlegte er seine Tätigkeit nach Palm Beach in Florida, wo man nicht so pingelig auf Qualifikationen achtete, und begann Häuser für Leute zu bauen, die vor Geld nicht aus noch ein wussten.
    In Palm Beach freundete er sich auch mit einem jungen Mann namens Paris Singer an, einem der vierundzwanzig Abkömmlinge des Nähmaschinenmagnaten Isaac M. Singer. Paris war Maler, Ästhet, Dichter, Geschäftsmann und Nervensäge und beherrschende Figur in der neurotischen Gesellschaft von Palm Beach. Mizner entwarf für ihn den Everglades Club, der sofort der exklusivste Außenposten der Ostküstenschickeria südlich der Mason-Dixon-Linie war. Nur dreihundert Mitglieder wurden zugelassen, und Singer wählte gnadenlos aus, wen er hereinließ. Eine Frau zum Beispiel nicht, weil ihn ihr Lachen ärgerte. Als ein anderes weibliches Mitglied für die bekümmerte Freundin um Gnade flehte, sagte er, sie solle ihn in Ruhe lassen oder werde selbst ausgeschlossen. Sie ließ ihn in Ruhe.
    Mizner krönte seinen Erfolg, als er den Auftrag von Eva Stotesbury ergatterte, El Mirasol zu bauen, ein Winterdomizil von vorhersehbar riesigen Ausmaßen. (Allein in der Garage war Platz für vierzig Autos.) Es wurde ein mehr oder weniger endloses Projekt, denn jedes Mal, wenn in Palm Beach jemand etwas Größeres zu bauen drohte, ließ Mrs. Stotesbury Mizner noch einen Anbau dranklatschen, damit El Mirasol das Tollste war und blieb.
    Addison Mizner war fürwahr ein schräger Architekt. Er hielt nichts von Plänen und war berüchtigt, weil er seinen Arbeitern immer nur ungefähre Angaben machte: »etwa so hoch« oder »ja, etwa hier«. Er war auch berühmt für seine Vergesslichkeit. Manchmal brachte er Türen an, hinter denen nichts als nackte Wände waren oder — noch interessanter! — das Innere eines Schornsteins. Als der Besitzer eines schicken neuen Bootshauses am Lake Worth sein Schmuckstück in Gebrauch nehmen wollte, musste er feststellen, dass es vier Wände und keinerlei Eingang hatte. Für einen Klienten namens George S. Rasmussen vergaß Mizner eine Treppe einzubauen und brachte nachträglich eine an einer Außenwand an. Was wiederum Mr. und Mrs. Rasmussen dazu zwang, je nach Wetter, Regenzeug oder andere angemessene Garderobe anzuziehen, wenn sie in ihrem eigenen Heim von einem Stockwerk ins andere wollten. Als man Mizner nach diesem Versehen fragte, soll er erwidert haben, es sei unwichtig, er möge Rasmussen ohnehin nicht.
    Im NewYorker wurde behauptet, er erwarte von seinen Kunden stets, dass sie vorbehaltlos akzeptierten, was er sich für sie ausdachte und für sie baute — ganz egal, was. Es hieß, dass sie ihm einen fetten Scheck gaben, ein Jahr oder länger verschwanden und bei ihrer Rückkehr das fertige Haus in Besitz nahmen, ohne vorher zu wissen, ob es eine Hazienda im mexikanischen

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