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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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schreckliche Schnappen, das uns wieder einen Todesfall anzeigt, weit häufiger, als uns lieb ist. Im Winter fangen wir zwei, drei kleine Racker pro Woche immer an derselben Stelle, in einem trostlosen, kleinen Zimmer ganz hinten im Haus.
    Es heißt zwar Arbeitszimmer und klingt sehr bedeutsam, ist aber in Wirklichkeit nur eine bessere Rumpelkammer und selbst in wärmeren Monaten so dunkel und kalt, dass man sich zum längeren Verweilen dort eher nicht ermutigt fühlt. Es war übri-

    gens auch nicht in Edward Tulls ursprünglichen Plänen enthalten. Mr. Marsham hat es wahrscheinlich hinzufügen lassen, weil er ein Büro brauchte, in dem er seine Predigten schrieb und Pfarrkinder empfing, besonders, würde ich mal vermuten, die weniger kultivierten mit den schmutzigen Stiefeln. (Die Gutsherrengattin wurde sicher ins behaglichere Wohnzimmer gebeten.) Bei uns ist das Arbeitszimmer der letzte Zufluchtsort für alte Möbel und Bilder, die ein Partner der Ehegemeinschaft liebt und der andere gern auf dem Scheiterhaufen sähe, und wir gehen eigentlich nur hinein, wenn wir nach der Mausefalle sehen wollen.
    Mäuse — verstehe sie, wer will. Zum einen sind sie wahnsinnig leichtgläubig. Wenn man bedenkt, wie rasch sie lernen, sich in Labyrinthen und anderen komplexen Umgebungen in einem Labor zurechtzufinden, erstaunt es doch, dass sie noch nirgendwo auf der Welt kapiert haben, dass es manchmal besser ist, einer Versuchung in Gestalt eines Kleckses Erdnussbutter auf einem Holzbrett zu widerstehen. Nicht weniger rätselhaft ist uns ihr Faible dafür — ja, ihre Entschlossenheit —, ausgerechnet in diesem Zimmer unseres Hauses zu sterben, dem Arbeitszimmer. Es ist nicht nur das kälteste, sondern auch am weitesten von der Küche entfernt mit all den Kekskrümeln, Reiskörnern und sonstigen Leckerbissen, die auf dem Boden landen und ihnen quasi mundgerecht serviert werden. Bei uns machen die Mäuse um die Küche einen weiten Bogen (wohl weil unser Hund dort schläft, hat man uns gesagt), und die Mausefallen, die wir dort hinstellen, fangen, so lecker wir sie auch bestücken, nur Staub. Nein, unsere Mäuse fühlen sich verhängnisvollerweise immer zum Arbeitszimmer hingezogen, und deshalb habe ich gedacht, dieses Zimmer ist vielleicht der rechte Ort, mal einen Gedanken an all die Lebewesen zu verwenden, die mit uns zusammenleben.
    Wo Menschen sind, sind Mäuse. Die Hausmaus — mus musculus, wie sie bei formelleren Gelegenheiten genannt wird — ist unglaublich anpassungsfähig. Man hat welche gefunden, die in einem Fleischkühlschrank leben, in dem permanent zehn Grad minus herrschen. Sie fressen auch fast alles, und aus dem Haus kann man sie so gut wie gar nicht fernhalten. Eine normal große, erwachsene Maus kann sich durch gerade mal zehn Millimeter breite Öffnungen quetschen, also so enge, dass man jede Wette eingehen würde, dass hier niemals Mäuse durchkämen. Kommen sie aber. Und zwar oft.
    Wenn sie einmal da sind, vermehren sie sich explosionsartig. Unter optimalen Bedingungen (und in menschlichen Heimen sind die Bedingungen selten anders als optimal) wirft eine Mäusin ihren ersten Wurf sechs bis acht Wochen nach ihrer eigenen Geburt und danach jeden Monat einen. Der wiederum besteht in der Regel aus sechs bis acht Jungen, die Zahlen vervielfachen sich also in Windeseile. In einem Jahr können zwei fortpflanzungsfreudige Mäuse eine Million Nachkommen hervorbringen. Das passiert Gott sei Dank in unseren Breiten nicht, aber die Anzahl der Nager gerät manchmal, wenn auch nur selten, vollkommen außer Kontrolle. Offenbar vor allem in Australien. Bei einer berühmten Plage 1917 wurde die Stadt Lascelles im Westen des Bundesstaats Victoria nach einem warmen Winter buchstäblich von den Viechern überrannt. Eine kurze, aber denkwürdig rege Zeitlang existierten sie in Lascelles in solcher Dichte, dass jede horizontale Fläche zu einer Masse hektisch hin und her flitzender Leiber zu mutieren und jeder unbelebte Gegenstand unter einem Pelzbelag zu beben schien. Man konnte sich nirgendwo hinsetzen, die Betten nicht benutzen. »Die Menschen schlafen auf den Tischen, um den Mäusen zu entkommen«, berichtete eine Zeitung. »Die Frauen kommen aus dem Entsetzen gar nicht mehr heraus, und die Männer sind die ganze Zeit damit beschäftigt, die Mäuse davon abzuhalten, ihnen in den Kragen zu kriechen.« Über 1500 Tonnen Mäuse — vielleicht eintausend Millionen (das ist eine Milliarde!) Einzelwesen — wurden getötet, bis die

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