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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Schlaf von Ratten angegriffen wurde«, berichtet Clinton und fährt fort: »Das halbseitig gelähmte Opfer blutete heftig aus vielfachen Rattenbisswunden und starb trotz rascher Erster Hilfe im Krankenhaus. Ihre siebzehnjährige Enkelin schlief zur Zeit des Angriffs im selben Zimmer und blieb völlig unbehelligt.«
    Sicher wird über Rattenbisse viel zu wenig berichtet, denn nur die schlimmsten erregen Aufmerksamkeit, doch selbst nach vorsichtigsten Schätzungen werden in den Vereinigten Staaten jedes Jahr mindestens 14000 Menschen attackiert. Die großen Nager haben sehr scharfe Zähne, und wenn man sie in die Enge treibt, greifen sie an und »beißen wie tollwütige Hunde brutal und blindlings zu«, sagt ein Rattenexperte. Eine ausreichend motivierte Ratte kann bis zu einem Meter hochspringen — hoch genug, um einem einen Schrecken einzujagen, wenn sie einem entgegenkommt und aus irgendeinem Grunde sauer ist.
    Das übliche Abwehrmittel gegen eine Rattenplage ist Gift. Und zwar deshalb, weil die Tiere sich nicht erbrechen können und deshalb Gifte im Körper behalten, die andere Vierbeiner — Haushunde und -katzen zum Beispiel — schnell wieder herauswürgen. Man benutzt auch viele Mittel, die verhindern, dass das Blut gerinnt, aber allen Anzeichen nach werden die Ratten zunehmend immun dagegen.
    Ratten sind im Übrigen schlau und arbeiten oft zusammen. Im ehemaligen Geflügelmarkt Gansevoort in Greenwich Village in New York verstanden die Schädlingsbekämpfer lange nicht, wie die Ratten Eier stehlen konnten, ohne sie zu zerbrechen. Als sich eines Nachts einer versteckte, um es zu beobachten, sah er, dass eine Ratte ein Ei mit allen vier Pfoten umfasste und sich auf den Rücken drehte. Dann zog eine zweite Ratte die erste am Schwanz in den Bau, wo sie ihre Beute friedlich, schiedlich teilten. In einem Fleischabpackbetrieb entdeckten Arbeiter, wie Nacht für Nacht an Haken hängende Tierhälften zu Boden plumpsten und verschlungen wurden. Ein Kammerjäger namens Irving Billig nahm das Ganze mal genauer in Augenschein, und was sah er? Eine Rattenschar bildete unter einer Fleischhälfte eine Pyramide, eine Ratte kraxelte daran hoch und sprang von dort auf das Fleisch. Dann kletterte sie bis dorthin, wo das Fleisch am Haken hing, und nagte so lange an der Stelle herum, bis es herunterfiel. Sofort machten sich Hunderte wartender Kumpel gierig darüber her.
    Wenn Ratten viel Nahrung finden, stopfen sie sich ohne Zögern voll, wenn nötig, kommen sie aber auch mit kleinen Portionen aus. Eine erwachsene Ratte kann mit weniger als dreißig Gramm Futter und 0,015 Liter Wasser am Tag überleben. Zum Vergnügen nagen sie offenbar zwischendurch an Stromleitungen. Keiner weiß, warum, denn diese bieten keinerlei Näherwert, sondern höchstens die reale Aussicht auf einen tödlichen Schlag. Aber die Ratten können sich einfach nicht beherrschen. Man glaubt, dass bis zu einem Viertel aller Brände, deren Ursache man nicht findet, von Ratten verschuldet werden, die Leitungen angeknabbert haben.
    Wenn Ratten nicht fressen, kopulieren sie. Ratten kopulieren häufig — bis zu zwanzig Mal am Tag. Wenn ein männlicher Ratz kein Weibchen findet, sucht er nicht minder gern — oder ist zumindest bereit dazu — Befriedigung seiner Lust bei einem Geschlechtsgenossen. Rattendamen sind unglaublich fruchtbar. Die durchschnittliche erwachsene Wanderratte produziert 35,7 Nachkommen im Jahr, die einzelnen Würfe bestehen aus sechs bis neun Jungen. Unter günstigen Bedingungen wirft ein Rattenweibchen aber alle drei Wochen bis zu zwanzig.Theoretisch kann ein Rattenpaar eine Dynastie von bis zu 15 000 neuen Ratten im Jahr gründen. Praktisch passiert das allerdings nicht, weil Ratten von Natur aus leicht dahinscheiden. Die jährliche Sterblichkeitsrate beträgt fünfundneunzig Prozent! Eine einzelne Ratte hat also keine große Lebenserwartung, doch ihre Familie ist so gut wie unsterblich.
    In der Hauptsache sind Ratten ungeheuer faul. Sie schlafen bis zu zwanzig Stunden am Tag und kommen normalerweise gleich nach Sonnenuntergang hervor, um sich auf Nahrungssuche zu begeben. Nur wenn es gar nicht anders geht, wagen sie sich mehr als fünfzig Meter weit vor. Das mag zu ihrer Überlebensstrategie gehören, denn in dem Fall schnellen die Sterblichkeitszahlen in die Höhe.
    Wenn von Ratten in der Geschichte die Rede ist, folgt unweigerlich das Thema Pest. Das ist nicht immer fair. Zum einen stecken die Ratten uns gar nicht mit der Pest an. Sie sind

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