Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
ob das die Zeit sei, Geld und Kraft in ein Haus zu investieren, das dem Feind jederzeit in die Hände fallen und zerstört werden konnte. Washington steckte während des Krieges überwiegend im Norden fest und ließ seinen Teil des Landes fast die ganze Zeit ungeschützt gegen Angriffe. Zum Glück erreichten die Briten MountVernon nie. Wären sie doch dort hingekommen, hätten sie garantiert Mrs. W. entführt und Haus und Anwesen in Brand gesteckt.
Trotz der Gefahren baute Washington mit Volldampf weiter. Ausgerechnet als es um den Krieg am schlechtesten stand, 1777, wurden zwei kühne Anbauten verwirklicht: der Turm auf dem Dach und die offene Veranda, die mit ihren eckigen Säulen entlang der gesamten Ostfassade des Hauses verläuft und Piazza genannt wurde. Die Piazza hatte Washington selbst entworfen, sein Meisterstück! »Bis zum heutigen Tage«, schreibt Stewart Brand, »ist es eine der hübschesten Stellen in den Vereinigten Staaten zum einfach nur Dasitzen.« Auch der kleine Turm war Washingtons Idee. Damit hat die Dachsilhouette nicht nur einen kecken Mittelpunkt, sondern er diente auch sehr effizient als Klimaanlage, weil er frische Brisen einfing und ins Innere des Hauses leitete.
»Die Piazza hält das Haus schattig und kühl und verschönert die Fassade«, erzählte mir Dennis Pogue, zuständiger Denkmalschützer für MountVernon, als ich dort war. »George Washington war ein viel, viel besserer Architekt, als man gemeinhin denkt.«
Weil der Bauherr aber einem schon existierenden Gebäude ständig etwas hinzufügte, war er gezwungen, auch ständig Kompromisse zu machen. Aus Gründen der Statik musste er sich entscheiden, ob er entweder vieles im Inneren umbauen oder auf der Rückseite des Hauses auf die Symmetrie verzichten wollte — das heißt auf der Seite, die ankommende Besucher zuerst sahen. Er entschied sich gegen die Symmetrie. »Das war für die Zeit sehr ungewöhnlich und mutig, aber Washington war immer pragmatisch«, sagte Pogue. »Er wollte lieber eine vernünftige Raumaufteilung im Inneren als zwanghaft ein spiegelbildliches Äußeres. Er hoffte auch, dass die Leute es gar nicht merkten.« Nach Pogues Erfahrung trifft das für die Hälfte der Besucher zu. Man muss aber sagen, dass die mangelnde Symmetrie so unharmonisch nicht ist. Wer allerdings Wert auf Gleichmaß legt, kann eigentlich nicht übersehen, dass das Türmchen und das Giebeldreieck einen halben Meter gegeneinander verschoben und nicht auf Mitte untereinander sind.
Da Washington keinerlei Stein zum Bauen hatte, verkleidete er sein Haus mit Holzbrettern, die, damit sie aussahen wie Steine, an den Rändern sorgfältig abgeschrägt und angestrichen wurden, um Astlöcher und Maserung zu verbergen. Als die Farbe noch trocknete, blies man vorsichtig Sand auf das Holz, um ihm eine körnige, steinähnliche Oberfläche zu geben. Die Täuschung war so erfolgreich, dass selbst heute noch die Führer dagegenklopfen, um Besucher darauf hinweisen, woraus das Gebäude wirklich ist.
Viel Zeit hatte Washington nicht, um Mount Vernon zu genießen; selbst wenn er zu Hause war, kam er kaum zur Ruhe. Denn da es zu den Gepflogenheiten der Zeit gehörte, jedem anständig aussehenden Menschen, der auf der Schwelle auftauchte, Unterkunft und Verpflegung zu geben, wurde Mount Vernon von Gästen geradezu heimgesucht — in einem Jahr kamen 677 —, und viele blieben mehr als eine Nacht.
Washington starb 1799, bloß zwei Jahre nachdem er in den Ruhestand gegangen war. Für Mount Vernon begann nun ein langer Niedergang. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war es praktisch verfallen. Die Erben boten es der Nation zu einem Spottpreis an, aber der Kongress sah es nicht als seine Aufgabe an, die Heime von Ex-Präsidenten zu erhalten, und verweigerte die Mittel. 1853 fuhr eine Frau namens Louisa Dalton Bird Cunningham auf einem Passagierdampfer den Potomac hinauf und war vom Zustand Mount Vernons derart entsetzt, dass sie eine Stiftung gründete, die Mount Vernon Ladies' Association, die das Anwesen kaufte und heroisch mit der langwierigen Restaurierung begann. Sachgerecht und liebevoll kümmert sich die Stiftung noch heute darum. Fast noch wundersamer ist, dass der unvergleichliche Blick Kauf den Potomac erhalten geblieben ist. In den 1950er Jahren wurden nämlich Pläne publik, dass man auf dem gegenüberliegenden Ufer eine gewaltige Ölraffinerie bauen wolle. Eine Kongressabgeordnete aus Ohio, Frances Payne Bolton, intervenierte erfolgreich und schaffte
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