Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
noch drastischeres Bild. In seiner Schrift Die Treppe. Studien zu Gefahren, Stürzen und verbesserter Sicherheit vertritt er die
Meinung, dass ohnehin alle Zahlen zu Sturzverletzungen viel zu niedrig angesetzt sind. Denn selbst nach vorsichtigsten Schätzungen ist die Treppe die zweithäufigste Ursache von Unfalltoden, weit hinter Autounfällen, doch weit vor Ertrinken, Verbrennen und ähnlich argen Missgeschicken. Obendrein kommen Treppenstürze die Volkswirtschaft teuer zu stehen; man muss sich nur die anfallenden Arzt- und Krankenhauskosten vergegenwärtigen sowie die Kosten, die durch den Arbeitsausfall entstehen. In Anbetracht dessen ist es schon merkwürdig, dass man dem Treppensturz nicht mehr Aufmerksamkeit zollt. Bei Bränden, Brandschutzbestimmungen und Feuerversicherungen werden reichlich Geld und Arbeitszeit auf vorbeugende Maßnahmen oder Ursachenforschung verwendet, doch bei Stürzen und ihrer Verhütung hält man sich zurück.
Irgendwann stolpert jeder mal auf einer Treppe. Man hat errechnet, dass der Mensch beim Treppengehen wahrscheinlich alle 2222 Mal eine Stufe verpasst, alle 63 000 Mal einen kleineren und alle 734 000 Mal einen schmerzhafteren Unfall hat. Alle 3 616 667 Mal muss er zur Behandlung ins Krankenhaus.
Vierundachtzig Prozent der Menschen, die nach Treppenstürzen im eigenen Haus sterben, sind fünfundsechzig und älter. Der Grund liegt weniger darin, dass die Senioren achtlos eine Treppe hinuntergehen, als vielmehr darin, dass sie nicht mehr so leicht aufstehen können. Kinder sterben Gott sei Dank sehr selten nach Treppenstürzen, aber Haushalte mit kleinen Kindern haben bei Weitem die höchste Rate an Verletzungen, teilweise weil die Treppe häufig benutzt wird und teilweise wegen der verblüffenden Dinge, die Kinder auf der Treppe liegen lassen. Unverheiratete Menschen fallen eher als verheiratete, jung verheiratete fallen mehr als beide, und Leute, die fit sind, fallen öfter als Leute, die nicht fit sind, hauptsächlich, weil sie viel mehr springen und weniger vorsichtig sind und nicht immer Päuschen machen müssen wie die Pummel und Gebrechlichen.
Der beste Indikator dafür, welches Risiko man persönlich hat, Isi die Häufigkeit der Stürze, die einem bisher passiert sind. Anfälligkeit für Treppensturzverletzungen ist unter Ärzten ein eher kontrovers diskutiertes Thema, aber es scheint doch etwas daran zu sein. Etwa vier von zehn Menschen widerfährt ein solches Malheur nicht nur einmal.
Die Leute fallen verschieden in verschiedenen Ländern. Zum Beispiel verletzt sich ein Japaner weit eher bei einem Treppensturz im Büro, in einem Kaufhaus oder auf einem Bahnhof als jemand in den Vereinigten Staaten. Und zwar nicht deshalb, weil die Japaner leichtsinnigere Treppengeher sind, sondern, weil US-Amerikaner in öffentlichen Räumen nicht oft Treppen benutzen. Stets auf Sicherheit und Bequemlichkeit bedacht, hüpfen sie gleich in Aufzüge oder stellen sich auf Rolltreppen. Verletzungen durch Treppenstürze ziehen sie sich in ihrer überwiegenden Mehrheit zu Hause zu — fast der einzige Ort, an dem sie wirklich regelmäßig Treppen benutzen. Das ist auch der Grund, warum Frauen häufiger Treppen herunterfallen als Männer: Sie benutzen sie mehr, insbesondere zu Hause, wo, wie gesagt, die meisten Stürze passieren.
Wenn wir auf einer Treppe fallen, geben wir uns meist selbst die Schuld und meinen, wir seien unvorsichtig oder unaufmerksam gewesen. Dabei beeinflusst die Konstruktion der Treppe die Wahrscheinlichkeit, mit der wir fallen, und die Intensität des Schmerzes. Schlechte Beleuchtung, kein Geländer, verwirrende Muster auf den Stufen, zu hoher oder zu niedriger Abstand zwischen den Stufen, ungewöhnlich breite oder schmale Stufen oder Absätze, die den Rhythmus des Hinauf- oder Hinabgehens unterbrechen, sind die Hauptkonstruktionsfehler, die zu Unfällen führen.
Laut Templer ist bei der Sicherheit von Treppen zweierlei zu beachten, nämlich erstens, »die Bedingungen zu vermeiden, die zu Unfällen führen«, und zweitens, »die Treppen so zu konstruieren, dass die Verletzungen gering bleiben, wenn ein Unfall passiert«. Er erzählt, dass an einem Bahnhof in New York (an welchem, sagt er wohlweislich nicht) die Stufenränder mit einem rutschfesten Anstrich versehen wurden, doch wegen des Musters die Kanten schwer zu erkennen waren. Binnen sechs Wochen fielen mehr als vierzehnhundert Leute die Treppe hinunter. Dann beseitigte man das Problem.
Bei einer Treppe spielen
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