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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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normalerweise angeführt werden. Erst bei Jugendlichen unter siebzehn Jahren erreichten sie in Breslau fünfzig Prozent. Das war schlimmer, als Halley erwartet hatte, und er benutzte seinen Bericht, um darauf hinzuweisen, dass die Menschen nicht mit einem langen Leben rechnen, sondern sich darauf gefasst machen sollten, vor ihrer Zeit zu sterben. »Zu Unrecht beklagen wir die Kürze unseres Lebens«, schrieb er, »und fühlen uns ungerecht behandelt, wenn wir kein hohes Alter erreichen. Dabei stirbt doch offenbar hier eine Hälfte derjenigen, die geboren werden, binnen siebzehn Jahren [...] Anstatt [also] über das, was wir einen unzeitigen Tod nennen, zu murren, sollten wir uns mit Geduld und Gleichmut hineinschicken, weil das die unabwendbare Condition unseres vergänglichen Stoffes ist.« In Wahrheit fiel es den Menschen also eindeutig schwerer, sich mit einem frühen Tod abzufinden, als die schlichte Zurkenntnisnahme der Zahlen vermuten lässt.
    Die Statistiken wurden aber auch noch dadurch vertrackter, dass genau zu dieser Zeit Frauen in ganz Europa in Scharen an einer neuen Krankeit starben, die die Ärzte weder verstanden noch bekämpfen konnten. Es war das Kindbettfieber, das zum ersten Mal 1652 in Leipzig registriert wurde und gegen das die Ärzte in den nächsten zweihundertfünfzig Jahren machtlos bleiben sollten. Es war besonders gefürchtet, weil es plötzlich auftrat, oft mehrere Tage nach einer gesunden Geburt, wenn es der Mutter prächtig ging. Binnen Stunden bekam sie hohes Fieber und fiel ins Delirium, was eine Woche anhielt. Dann wurde sie entweder gesund oder starb. Meist starb sie. Bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts schrieben die meisten Ärzte Kindbettfieber entweder schlechter Luft oder einer laschen Moral zu, doch es waren ihre schmuddeligen Finger, die Mikroben von einem empfindlichen Uterus zum anderen übertrugen. 1847 erkannte zwar der Wiener Arzt Ignaz Semmelweis, dass sich die Sterberaten bei verschiedenen Krankheiten extrem verringerten, wenn sich Ärzte und Personal die Hände in leicht gechlortem Wasser wuschen, doch kaum einer hörte auf ihn, und es vergingen noch einmal Jahrzehnte, bis keimtötende Vorsichtsmaßnahmen allgemein üblich wurden.
    Mit Erfindung der Geburtszange, mit der man Kinder leichter herausziehen konnte, gab es für ein paar glückliche Frauen zumindest die Aussicht auf größere Sicherheit. Leider entschied sich der Erfinder, Peter Chamberlen, dagegen, die Allgemeinheit an seiner Erfindung teilhaben zu lassen. Er hielt sie geheim, um sie nur in seiner Praxis anzuwenden, und hundert Jahre lang änderten seine Erben an dieser beklagenswerten Tradition nichts. Dann wurde die Geburtszange unabhängig von anderen erfunden. Doch Tausende unbekannte Frauen waren in der Zwischenzeit natürlich unter unnötigen Qualen gestorben. Dabei hatte auch die Geburtszange ihre Risiken. Nicht sterilisiert und tief in den Geburtskanal eingeführt, konnte man, wenn man sie nicht mit größter Sorgfalt benutzte, Mutter und Kind leicht schädigen. Aus dem Grund schreckten auch viele Ärzte davor zurück, sie einzusetzen. Am berühmtesten wurde der Fall von Prinzessin Charlotte, der Erbin des britischen Throns, die 1817 bei der Geburt ihres ersten Kindes starb, weil der verantwortliche Arzt, Sir Richard Croft, seinen Kollegen den Gebrauch der Geburtszange nicht erlaubte. Nach mehr als fünfzig Stunden erschöpfender, erfolgloser Wehen starben Mutter und Kind. Charlottes Tod änderte den Lauf der britischen Geschichte. Hätte sie weitergelebt, hätte es kein viktorianisches Zeitalter, weil keine Königin Victoria, gegeben. Die schockierte Nation vergab Croft nicht. Seinerseits geschockt und verzweifelt darüber, wie tief er in Schmach und Schande gefallen war, schoss er sich eine Kugel in den Kopf.
    genug Geld zum Leben zu haben. In ärmeren Haushalten — also in den meisten — war jedes Mitglied vom frühestmöglichen Zeitpunkt an ein Wertschöpfungsinstrument. Als John Locke 1697 in einem Schriftstück für das Board of Trade (den frühen Vorläufer eines Handelsministeriums) vorschlug, die Kinder der Armen vom Alter von drei Jahren an zur Arbeit heranzuziehen, fand das keiner herzlos oder völlig aus der Luft gegriffen. Little Boy Blue, der kleine Junge aus dem englischen Kinderreim, der es nicht schaffte, die Schafe von der Wiese und die Kühe aus dem Korn zu halten, war garantiert nicht älter als vier, denn ältere Kinder wurden für weit schwerere Arbeiten als Viehhüten

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