Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
gebraucht.
Ja, wenn es hart auf hart kam, bürdete man Kindern schlimmste Knochenarbeit auf. Schon Sechsjährige, Mädchen wie Jungen, mussten in Bergwerken schuften, weil sie mit ihrem kleinen Körper in enge Gänge und Ecken kamen. Wegen der Hitze und um ihre Kleidung zu schonen, arbeiteten sie oft nackt. (Erwachsene Männer traditionell auch; Frauen normalerweise nackt bis zur Taille.) Einen Großteil des Jahres sahen Bergarbeiter keine Sonne, wodurch viele wegen Vitamin-D-Mangel im Wachstum behindert und für Krankheiten anfällig waren. Selbst vergleichsweise leichte Arbeit war oft gefährlich. Kinder in den Töpfereien und Porzellanfabriken Staffordshires reinigten oft Kübel, in denen sich Reste von Blei und Arsen befanden, die ihre jungen Körper langsam vergifteten und Lähmungen oder epileptische Anfälle verursachten.
Die am wenigsten beneideten Kinderarbeiter waren die kleinen Kaminkehrer oder Kletterjungs, wie sie auch genannt wurden. Früher als alle anderen wurden sie in diese Arbeit gepresst; sie arbeiteten schwerer und starben früher. Die meisten begannen ihr kurzes Berufsleben im Alter von fünf. Doch in Dokumenten gibt es einen Jungen, der mit dreieinhalb in die Ausbildung genommen wurde, also in einem Alter, in dem selbst die einfachsten Aufgaben verwirrend und angsteinflößend gewesen sein müssen. Man brauchte die kleinen Jungen, weil die Rauchfänge eng und oft irrsinnig verschachtelt waren. John Waller schreibt: »Manche bogen um rechtwinklige Ecken, verliefen waagerecht, diagonal hoch oder im Zickzack, ja fielen steil nach unten ab, bevor sie nach oben zum Schornstein strebten. Von einem Londoner Rauchfang ist bekannt, dass er geschlagene vierzehn Mal die Richtung wechselte.« Die Arbeitsbedingungen waren brutal. Und damit die Jungs nicht bummelten, zündete man gern einen Haufen Stroh im Kamin an, um ihnen buchstäblich Feuer unterm Po zu machen. Viele Kletterjungs waren mit elf, zwölf Jahren bucklig und gesundheitlich ruiniert. Hodenkrebs war offenbar eine besonders häufig auftretende Berufskrankheit.
In einer solch grausamen Welt, bar aller Hoffnung, sticht die Geschichte von Isaac Ware als wundersamer Glücksfall heraus. Der Name Ware taucht in den Baugeschichten des achtzehnten Jahrhunderts regelmäßig auf, denn er war der führende Baukritiker der Zeit, und seine Meinung hatte Gewicht. (Er hatte die roten Backsteine in Verruf gebracht, die er als »unangenehm fürs Auge« abtat.) Doch Ware wurde es nicht an der Wiege gesungen, dass er einmal ein bedeutender Mann werden sollte. Ja, er begann als Gassenjunge und Kaminkehrer und verdankte seine Bildung und seinen Erfolg einem außergewöhnlichen Akt der Menschenliebe. Ungefähr 1712 ging ein Herr — offiziell wurde sein Name niemals genannt, aber man nimmt an, dass es der dritte Earl of Burlington war, Bauherr des Chiswick House und einer der Trendsetter des Zeitalters — durch die Whitehall in London, als er einen Schornsteinfegerbuben sah, der mit einem Stück Holzkohle eine Skizze des Banqueting House auf den Bürgersteig zeichnete. Die Zeichnung zeugte von solch außergewöhnlichem Talent, dass Burlington sie sich von Nahem ansah. Der Junge, der dachte, er werde gescholten, brach in Tränen aus und versuchte, sie wegzuwischen. Burlington beruhigte ihn und begann, mit ihm zu reden, und war von seiner natürlichen Intelligenz so beeindruckt, dass er ihn von seinem Arbeitgeber freikaufte, zu sich ins Haus nahm und ihn behutsam und allmählich zum Gentle- man erzog. Er schickte ihn auf Europareise und ließ ihn in allen feineren Dingen des Lebens unterweisen.
Ware wurde ein tüchtiger, wenn auch nicht brillanter Architekt, doch sein eigentliches Metier waren die Theorie der Architektur und die Architekturkritik. Er fertigte eine sehr geschätzte Übersetzung von Palladios 1 quattro libri an und schrieb die damalige Bibel der Bauästhetik, das schon erwähnte Der Complette Corpus der Architectur. Ware schüttelte seine bescheidene Herkunft nie ab. Als er 1766 starb, trug seine Haut angeblich immer noch die unauslöschlichen Flecken des Kaminkehrers.
Er war natürlich eine Ausnahme. Die meisten Kinder waren ihren Arbeitgebern auf Gedeih und vor allem Verderb ausgeliefert und wurden manchmal entsetzlich behandelt. Kurzzeitig berühmt-berüchtigt wurde der Fall zweier junger Lehrknaben eines Landwirts in Malmesbury in Wiltshire, der auf die Idee kam, sie zu kastrieren und als Sänger an eine Operncompagnie zu verkaufen. Beim
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