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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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steht natürlich in krassem Widerspruch zu dem, was ich vorher über die karge Kost eines durchschnittlichen Menschen im neunzehnten Jahrhundert ausgeführt habe. Doch die Anhaltspunkte sind derart widersprüchlich, dass man unmöglich sagen kann, wie gut oder schlecht die Leute aßen.
    Wenn der durchschnittliche Verzehr überhaupt etwas aussagt, dann ernährten sich die Menschen sogar richtig gesund: 1851 futterten sie etwas mehr als dreieinhalb Kilo Birnen pro Person im Jahr (im Vergleich dazu heute nicht einmal eineinhalb), gut vier Kilo Weintrauben und anderes Beerenobst (grob doppelt so viel wie heute) und ungefähr acht Kilo Trockenobst im Verhältnis zu knapp eineinhalb heute. Beim Gemüse sind die Zahlen noch beeindruckender. 1851 verzehrte der Durchschnittslondoner vierzehneinhalb Kilo Zwiebeln gegenüber knapp sechs heute, über achtzehn Kilo Steckrüben und Kohlrüben gegenüber gut einem Kilo heute und einunddreißig Kilo Kohl gegenüber neuneinhalb Kilo heute. An Zucker verbrauchte man zwischen dreizehn und vierzehn Kilo pro Kopf — weniger als ein Drittel der heutigen Menge. Im Großen und Ganzen sieht es aus, als hätten die Menschen durchaus gesund gegessen.
    Doch alle Einzelberichte, die damals und später verfasst wurden, deuten auf das genaue Gegenteil hin. Henry Mayhew meint in seinem Die Armen von London 1851, dass das typische Abendessen eines Arbeiters aus einem Stück Brot und einer Zwiebel bestand, während Judith Flanders in ihrer sehr viel jüngeren (und zu Recht hochgelobten) Studie Verzehrende Leidenschaften. Freizeit und Vergnügen im viktorianischen Großbritannien behauptet, dass
    »die Hauptnahrungsmittel der Arbeiterklasse und großer Teile des Kleinbürgertums Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Brot oder Kartoffeln, ein wenig Butter, Käse oder Speck sowie Tee mit Zucker« waren.
    Zutreffend ist allerdings, dass Menschen, die über ihre Ernährung nicht selbst bestimmen konnten, grottenschlecht aßen. Der Bericht eines Amtmanns über die Bedingungen in einer Fabrik in Nordengland enthüllte, dass man Lehrlinge von fünf Uhr fünfzig morgens volle fünfzehn Stunden und mehr an den Maschinen hielt und ihnen nur eine einzige kurze Pause zum Essen gewährte. »Sie bekommen Wasserporridge zum Frühstück und Abendessen [das sie beides an den Maschinen einnahmen] und meist Haferkekse und Melasse oder Haferkekse und dünne Brühe zum Mittagessen«, schrieb er. Und das war ganz gewiss mehr oder weniger typisch für alle, die in einer Fabrik, einem Gefängnis, einem Waisenhaus oder sonst wie in einer Situation steckten, in der sie vollkommen machtlos waren.
    Es trifft auch zu, dass die Ernährung vieler ärmerer Menschen entsetzlich eintönig war. In Schottland bekamen Landarbeiter zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts pro Woche durchschnittlich eine Ration von knapp acht Kilo Hafermehl, ein wenig Milch und sonst fast nichts, aber sie meinten, sie seien gut dran, weil sie zumindest keine Kartoffeln essen mussten. Die wurden in den ersten einhundertfünfzig Jahren nach ihrer Einführung in Europa weit und breit verachtet. Viele Menschen hielten sie für ungesund, weil ihre essbaren Teile in der Erde wuchsen und nicht edel der Sonne entgegenstrebten. Pfarrer predigten manchmal gegen die Kartoffel, weil sie nirgendwo in der Bibel erwähnt wurde.
    Nur die Iren konnten sich eine derartige Pingeligkeit nicht leisten. Für sie war die Kartoffel, weil so ertragreich, ein Gottesgeschenk. Ein einziger Morgen steinige Erde konnte eine sechsköplige Familie ernähren, wenn sie bereit war, eine Menge Kartoffeln zu essen, und das waren die Iren — notgedrungen. 1780 waren neunzig Prozent von ihnen zum Überleben ausschließlich oder fast ausschließlich auf Kartoffeln angewiesen. Leider ist die Kartoffel auch eines der empfindlichsten Gemüse, anfällig für zweihundertsechzig Arten verschiedenster Fäulniskrankheiten oder Bakterien-, Viren- und Insektenbefall. Von dem Moment an, als sie nach Europa kam, waren Ernteausfälle an der Tagesordnung. In den einhundertzwanzig Jahren bis zur großen Hungersnot in Irland gab es nicht weniger als vierundzwanzig Missernten. Nach einer im Jahre 1739 starben dreihunderttausend Menschen. Doch diese fürchterliche Opferzahl erschien geradezu unerheblich gegenüber dem unglaublichen Sterben und Leiden in den Jahren 1845/46.
    Es geschah alles sehr schnell. Bis in den August hinein sah alles gut aus, doch dann ließen die Pflanzen plötzlich die Köpfe hängen und

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