Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Fünftes Heft. Klasse 5 für Jungen (Halle: Hermann Schroedel Verlag, 1942), S. 152–57.
Kapitel 13 Das Erfolgsgeheimnis
Welthandel, Weltreiche und Weltreligionen führten irgendwann fast alle Sapiens in jedem Winkel des Planeten in die globalisierte Welt von heute. Der Weg war steinig und kurvenreich, doch auf lange Sicht war der Übergang von vielen kleinen zu wenigen großen Kulturen und schließlich zu einer Weltkultur unvermeidlich.
Was nicht heißen soll, dass die globalisierte Gesellschaft in ihrer heutigen Form unvermeidlich war. Andere Varianten wären genauso denkbar gewesen. Warum wurde beispielsweise Englisch zur Weltsprache und nicht Dänisch? Warum gibt es zwei Milliarden Christen und anderthalb Milliarden Muslime, aber nur 150000 Zoroastrer und keine Manichäer? Wenn wir die Geschichte um 10000 Jahre zurückspulen und wieder und wieder ablaufen lassen könnten, würden wir dann jedesmal den Aufstieg des Monotheismus und den Niedergang des Dualismus sehen?
Leider können wir dieses Experiment nicht durchführen, weshalb wir diese Frage nicht beantworten können. Um den Verlauf und das vorläufige Ergebnis der Weltgeschichte besser zu verstehen, wollen wir uns zwei entscheidende Eigenschaften der Geschichte ansehen.
1. Die Geschichte lässt sich nicht im Rückblick erklären
Jeder beliebige Moment der Geschichte ist ein Scheideweg. Eine einzige Straße führt von der Vergangenheit in die Gegenwart, doch in die Zukunft führt eine unendliche Vielzahl von möglichen Wegen. Einige sind breiter und besser ausgeschildert als andere, weshalb wir sie mit größerer Wahrscheinlichkeit einschlagen, aber oft nimmt die Geschichte völlig unvorhersehbare Wendungen.
Beispielsweise standen dem Römischen Reich um das Jahr 300 zahlreiche religiöse Möglichkeiten offen. Es hätte natürlich an seinem traditionellen Polytheismus festhalten können, doch im Rückblick auf ein Jahrhundert des Bürgerkriegs suchte Kaiser Konstantin offenbar nach einem Kitt, der sein kunterbuntes Reich zusammenhalten würde. Dazu boten sich eine Reihe von Religionen an, zum Beispiel der Mitraskult, der Isiskult, der Cybelekult, der Zoroastrismus, das Judentum und sogar der Buddhismus. Warum entschied er sich ausgerechnet für Jesus? Gab es etwas an der christlichen Theologie, das ihn persönlich ansprach? Hatte er ein Bekehrungserlebnis, oder waren seine Berater zu dem Schluss gekommen, dass die Christen immer größeren Zulauf hatten und man einfach auf den Wagen aufspringen konnte? Oder lag es einfach daran, dass seine Mama zum christlichen Glauben übergetreten war und es ihrem Sohn nie verziehen hätte, wenn er sich ihr nicht angeschlossen hätte? Die Historiker können lediglich Vermutungen anstellen, aber keine Antworten geben. Sie können beschreiben, wie die Christen die Vorherrschaft im Römischen Reich übernahmen, aber sie können nicht erklären, warum ausgerechnet diese Möglichkeit verwirklicht wurde.
Aber was ist der Unterschied zwischen einer Beschreibung des Wie und einer Erklärung des Warum? Um das Wie zu beschreiben, muss eine Abfolge von bestimmten Ereignissen rekonstruiert werden, die von einem Punkt zum anderen führten. Aber um das Warum zu erklären, müsste man die Ursachen finden, die dafür verantwortlich sind, dass genau diese Abfolge von Ereignissen eintrat und keine andere.
Es gibt durchaus Wissenschaftler, die für Ereignisse wie den Aufstieg des Christentums deterministische Erklärungen finden. Sie versuchen, die Geschichte der Menschheit auf das Zusammenspiel biologischer, ökologischer oder wirtschaftlicher Kräfte zu reduzieren und behaupten, dass bestimmte geographische, genetische oder ökonomische Gegebenheiten im Mittelmeerraum den Aufstieg einer monotheistischen Religion unvermeidlich machten. Historiker betrachten solche deterministischen Theorien mit einer gehörigen Portion Skepsis. Genau das zeichnet die Geschichtswissenschaften aus: Je mehr man über eine historische Epoche weiß, umso schwieriger wird es zu erklären, warum die Ereignisse diesen Verlauf nahmen und keinen anderen. Wer sich in einer Epoche nur oberflächlich auskennt, erinnert sich in der Regel nur an die Möglichkeiten, die schließlich verwirklicht wurden, und kann im Rückblick ganz einfach erklären, warum diese Entwicklung gar nicht zu vermeiden war. Wer mehr über eine bestimmte Epoche weiß, kennt auch einige der Wege, die nicht eingeschlagen wurden.
Diejenigen, die eine Epoche am besten kennen – die
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