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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Arier waren?
    Im nächsten Schritt vermengten britische, französische und deutsche Wissenschaftler die linguistische Theorie der fleißigen Arier mit Darwins Theorie der natürlichen Auslese und behaupteten, die Arier seien nicht nur eine Sprachfamilie gewesen, sondern eine biologische Gruppe – eine Rasse. Und zwar nicht irgendeine Rasse, sondern eine Herrenrasse von großen, blonden, blauäugigen, fleißigen und superintelligenten Menschen, die aus den Nebeln des Nordens hervorbrachen und in aller Welt den Grundstein der Kultur legten. Bedauerlicherweise vermischten sich die Arier, die Indien und Persien erobert hatten, mit der einheimischen und nicht-arischen Bevölkerung. Sie verloren ihr blondes Haar und mit ihm ihre Intelligenz und ihren Fleiß. Das wiederum habe zur Folge gehabt, dass Indien und Persien degenerierten und schwächer geworden seien. In Europa hätten sich die Arier dagegen ihre rassische Reinheit erhalten. Aus diesem Grund seien die Europäer in der Lage gewesen, die Welt zu erobern und als Einzige fähig, sie zu regieren – immer vorausgesetzt, sie vermischten sich nicht mit den minderwertigen Rassen.
    In den letzten Jahrzehnten sind rassistische Theorien, die lange in hohem Ansehen standen, unter Wissenschaftlern und Politikern ein absolutes Tabu. Damit ist die Diskriminerung jedoch keineswegs zu Ende, denn an die Stelle des Rassismus der imperialistischen Ideologie ist heute ein »Kulturismus« getreten. Das Wort »Kulturismus« gibt es zwar nicht, aber es ist an der Zeit, es einzuführen. Viele Menschen führen nach wie vor einen heldenhaften Kampf gegen den Rassismus und bemerken gar nicht, dass sich die Fronten längst verlagert haben. Die heutigen Eliten kleiden ihre Behauptungen über die Vorzüge bestimmter menschlicher Gruppen nämlich nicht mehr in ein biologisches Gewand, sondern erklären sie mit Hilfe von vermeintlichen historischen Unterschieden. Heute sagt niemand mehr, »es liegt ihnen im Blut«. Heute heißt es, »es liegt in ihrer Kultur«.
    Daher achten die rechten Parteien in Europa, die gegen Einwanderung aus muslimischen Ländern Front machen, sehr sorgfältig darauf, rassistisches Vokabular zu meiden. Jean-Marie le Pen hätte nie im Fernsehen behauptet: »Die arische Rasse ist der semitischen von Natur aus überlegen. Wir müssen verhindern, dass die minderwertigen semitischen Rassen das arische Blut verwässern und die arische Kultur zerstören.« Stattdessen behaupten die Politiker des französischen Front National, der niederländischen Partij voor de Vrijheid, des Bündnisses Zukunft Österreich und ähnlicher Parteien mit fremdenfeindlichen Programmen, die westliche Kultur, die sich in Europa entwickelt habe und sich durch demokratische Werte, Toleranz und Gleichheit der Geschlechter auszeichne, sei der islamischen Kultur überlegen, die im Nahen Osten entstanden sei und sich durch autokratische Politik, Fanatismus und Frauenhass auszeichne. Da sich diese beiden Kulturen so stark unterschieden, und da viele Muslime nicht bereit seien, die westlichen Werte anzunehmen, könnten sie auch nicht im Westen leben, da sie nur Konflikte in diese Gesellschaften tragen und die europäischen Demokratien aushöhlen würden.
    Kulturistische Thesen wie diese werden durch Untersuchungen von Geistes- und Sozialwissenschaftlern unterfüttert. Nicht alle Historiker und Anthropologen akzeptieren diese Theorien und die wenigsten heißen ihre Verwendung durch die Politik gut. Aber während es Biologen heute leicht fällt, sich vom Rassismus zu distanzieren, ist es für Historiker und Anthropologen schwer, auf Abstand zum Kulturismus zu gehen. Biologen verweisen gern darauf, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen menschlichen Populationen vernachlässigbar gering sind, sodass die Biologie den Rassisten inzwischen keine Nahrung mehr bietet. Historiker und Anthropologen können dagegen schlecht behaupten, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen menschlichen Kulturen vernachlässigbar gering sind. Wenn die Unterschiede so gering wären, warum sollte man dann Historiker und Anthropologen bezahlen, um sie zu erforschen?
    *
    So unterstützten sich Wissenschaft und Imperialismus gegenseitig. Die Wissenschaftler lieferten das praktische Wissen, die ideologische Rechtfertigung und die technischen Werkzeuge. Ohne ihren Beitrag hätten die Europäer schwerlich die Welt erobern können. Die Eroberer bedankten sich, indem sie den Wissenschaftlern Informationen und Schutz boten,

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