Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Schafe fetter, gefügiger und träger. So entstand das Hausschaf.
Es könnte allerdings auch sein, dass Jäger ein Lamm fingen und »adoptierten«, es während der fetten Monate fütterten und während der mageren Monate aßen. Irgendwann könnten sie so eine Menge Schafe gehalten haben. Einige davon erreichten die Geschlechtsreife und vermehrten sich. Die aufsässigsten Schafe wurden als Erste geschlachtet, die fügsamsten und freundlichsten durften länger leben und sich vermehren. Das Ergebnis war eine Herde fügsamer und friedlicher Schafe.
Die so domestizierten Tiere – Schafe, Hühner, Esel und so weiter – lieferten Nahrung (Fleisch, Milch und Eier), Rohstoffe (Häute und Wolle) sowie Muskelkraft. Transport, Pflügen, Mahlen und andere Aufgaben, die bislang von menschlichen Muskeln erledigt worden waren, wurden nun zunehmend auf die Schultern der Tiere verlagert. In den meisten bäuerlichen Gesellschaften kümmerten sich die Menschen in erster Linie um den Anbau von Pflanzen und betrieben die Viehzucht eher nebenher. Aber es gab und gibt auch Hirtengesellschaften, die vor allem auf der Ausbeutung von Tieren basieren.
Mit dem Menschen verbreiteten sich auch die Haustiere über den gesamten Planeten. Vor zehntausend Jahren lebten lediglich ein paar Millionen Schafe, Kühe, Ziegen und Hühner in einigen ausgewählten Nischen Afrikas, Asiens und Europas. Heute gibt es rund eine Milliarde Schafe, mehr als eine Milliarde Kühe und geschätzte 25 Milliarden Hühner, die auf dem gesamten Planeten leben. Das Haushuhn ist das am weitesten verbreitete Federtier aller Zeiten. Kuh und Hausschaf belegen die Plätze zwei und drei in der Rangliste der häufigsten Säugetierarten – gleich hinter dem Homo sapiens . Aus Sicht der Evolution, die den Erfolg einer Art an der Verbreitung der DNA misst, müsste die landwirtschaftliche Revolution eigentlich ein wahrer Segen für Hühner, Kühe und Schafe gewesen sein.
Leider ist die evolutionäre Sicht allein kein ausreichender Gradmesser für den Erfolg einer Art. Sie urteilt ausschließlich nach Überleben und Reproduktionserfolg und interessiert sich nicht für das individuelle Glück oder Leid. Der Evolution ist es gleichgültig, was die Tiere fühlen, sie zählt nur die Exemplare. Domestizierte Hühner und Kühe mögen zwar eine Erfolgsgeschichte der Evolution sein, doch sie gehören zu den unglücklichsten Lebewesen, die es je gab. Die Domestizierung der Tiere geht mit einer Reihe brutaler Praktiken einher, die im Laufe der Jahrhunderte immer grausamer wurden.
Ein freilebendes Huhn hat eine Lebenserwartung von sieben bis zwölf Jahren, ein Rind von 20 bis 25 Jahren. In freier Wildbahn sterben die meisten Hühner und Rinder zwar deutlich früher, aber sie haben gute Aussichten, ein paar Jährchen zu leben. Im Gegensatz dazu wird die überwiegende Mehrzahl der in Gefangenschaft lebenden Hühner und Rinder im Alter von wenigen Wochen oder Monaten geschlachtet, da dies aus wirtschaftlicher Sicht das optimale Alter ist. (Warum sollte man einen Hahn drei Jahre lang durchfüttern, wenn er schon nach drei Monaten sein Höchstgewicht erreicht hat?)
Legehennen, Milchkühe und Zugtiere dürfen länger leben. Doch der Preis ist die völlige Versklavung, Ausbeutung und Unterjochung unter eine Lebensweise, die nichts mit ihren natürlichen Bedürfnissen und Wünschen zu tun hat. Wir können beispielsweise annehmen, dass Stiere lieber in Gesellschaft ihrer Artgenossen über das offene Weideland streifen würden, statt Karren und Pflüge zu ziehen, während ein Affe die Peitsche über ihnen schwingt.
Um Stiere, Pferde, Esel und Kamele zu gehorsamen Zugtieren zu machen, mussten ihre natürlichen Instinkte und sozialen Beziehungen zerstört, ihre Aggression und Sexualität gebrochen und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Dazu entwickelten Bauern die unterschiedlichsten Methoden, sie pferchten die Tiere in Käfige und Ställe, zügelten sie mit Stricken und Zaumzeug, zähmten sie mit Stöcken und Peitschen und verstümmelten sie. Zur Zähmung gehörte fast immer die Kastration der männlichen Tiere – das bändigt die männliche Aggression und gibt den Menschen die Möglichkeit, die Fortpflanzung der Herde zu kontrollieren.
In vielen Stämmen Neuguineas wird der Reichtum eines Stammesangehörigen traditionell an der Zahl seiner Schweine gemessen. Um sicherzustellen, dass die Schweine nicht davonlaufen, schneiden Bauern im Norden der Insel den Tieren ein Stück ihres
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