Eine Lady nach Maß
Ich weiß gar nicht richtig, was ich damit machen soll.“
„Also, ich hätte da schon eine Idee.“
Er nahm das Päckchen entgegen und trat einen Schritt zur Seite, als Hannah ihr Geschäft verließ und die Tür hinter sich schloss. Der strenge Geruch, den sie von ihm kannte, schlug ihr entgegen. Doch in den letzten Tagen schien sie sich ein bisschen daran gewöhnt zu haben, denn sie schaffte es, Luft zu holen, ohne dass sie das Gefühl hatte umzufallen. Offenbar machte sie Fortschritte.
Hannah schloss die Tür ab und beendete damit ihre erste Arbeitswoche. Dann wandte sie sich zu Ezra und lächelte ihn freundlich an. „Ich hatte gehofft, dass Sie mich morgen zur Kirche begleiten würden. Da ich neu in der Stadt bin, hätte ich gerne jemanden neben mir, den ich kenne.“
Ezra machte ein langes Gesicht. „Ich, Miss Hannah?“ Er schüttelte energisch den Kopf und wurde dabei immer schneller. „Das wollen Sie nicht wirklich.“
„Natürlich will ich das.“
„Aber ich …“
„Ich weiß, dass Sie wissen, wo die Kirche ist, Sie Gauner“, unterbrach sie ihn und drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. Innerlich betete sie, dass sie gerade nicht einen Fehler beging. „Wir gehen doch jeden Morgen daran vorbei.“
Ezras Schultern sackten in sich zusammen, als er den Kopf hängen ließ. Seine Finger gruben sich in das braune Papier, das sein Hemd schützte, und zerknitterten es.
„Die Wahrheit ist, Miss Hannah, dass ich nicht mehr in der Kirche war, seit meine Alice gestorben ist. Ich gehöre da nicht mehr hin.“
Es tat ihr weh, diesen alten Mann so leiden zu sehen. Noch schlimmer fand sie es aber, dass er sich durch sein Verhalten selbst von der Gemeinschaft der anderen abgrenzte – und von Gott.
„Es ist egal, wie lang Sie nicht mehr dort waren, Ezra. Gott ist immer bereit, seine Kinder wieder in seine Arme zu schließen.“
Er schnaufte und sah sie von der Seite an. „Gott mag mich ja vielleicht in seine Arme schließen, aber ich bezweifle, dass der Rest der Stadt daran so großes Interesse hat, wo ich doch so stinke.“
Das war das erste Mal, dass Hannah ihn von seiner Unsauberkeit sprechen hörte. Doch der Tonfall, in dem er es sagte, ließ sie vermuten, dass er nur etwas nachplapperte, das er von anderen gehört hatte. Hannah wurde wütend, wenn sie daran dachte, dass jemand unfreundlich zu Ezra gewesen war. Auch wenn er von seiner Sauberkeit her nicht dem allgemeinen Standard entsprach, durfte man nicht gemein zu ihm sein.
Hannah stampfte trotzig mit dem Fuß auf. „Also, wir können uns ja ganz nach hinten setzen. Und wenn wir jemanden stören, kann derjenige seinen Gottesdienst gerne woanders feiern.“
Ezra sah sie erstaunt an. „Sie sind wirklich ein Sturkopf, nicht wahr?“ Er schüttelte wieder den Kopf, aber diesmal sah es belustigt und nicht länger traurig aus. Hannahs Herz wurde leichter.
„Na gut“, sagte er endlich. „Ich nehme Sie morgen mit zur Kirche und ich werde das Hemd tragen, das Sie für mich gemacht haben. Gibt es noch etwas, zu dem Sie mich gerne zwingen würden?“
„Nur eine Kleinigkeit.“
Er verdrehte die Augen. „Was ?“
Hannah atmete vorsichtig ein, bevor sie die nächsten Worte hervorbrachte. „Da Ihr Hemd das erste Kleidungsstück ist, das ich in meinem neuen Geschäft geschneidert habe, würde ich Sie gerne um einen Gefallen bitten.“
Er sah sie erwartungsvoll an. „Raus damit.“
„Bevor Sie das Hemd aus dem Papier wickeln … könnten Sie sich bitte die Hände waschen?“
Ezra fing schallend an zu lachen, sodass er fast nach hinten vom Bürgersteig gefallen wäre. Er schüttelte fassungslos den Kopf und kam kaum wieder zu Atem. Hilflos hielt er sich den Bauch. Als er sich nach einer ganzen Weile wieder ein wenig gefangen hatte, schnaufte er atemlos: „Sie sind unglaublich, Miss Hannah. Wirklich. Meine Hände waschen. Haha!“
Er führte Jackson die Straße hinunter und musste dabei immer wieder kichern. Hannah überkam ein unangenehmes Gefühl. Wollte er sie nur auf den Arm nehmen? Würde das erste Kleidungsstück, das sie in Coventry genäht hatte, morgen in der Kirche wie ein alter Lumpen aussehen? Ein dumpfer Schmerz machte sich hinter Hannahs Augen breit.
Kapitel 12
J. T. stand zwischen den Pferden und Wagen im Kirchhof, so wie er es jeden Sonntagmorgen tat. Gott hatte ihm nicht die Gabe der Worte gegeben wie dem Prediger oder die Gabe der Musik, dass er hätte Klavier spielen können. Aber er konnte mit Pferden umgehen, also tat
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